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Volkstrauertag in Müllheim: Verflucht sei der Krieg!

In Gentioux-Pigerolles, einer Gemeinde im Zentralmassiv in Frankreich, steht ein Denkmal,  das für seine Skulptur berühmt ist: Es stellt ein Waisenkind dar, das seine Faust in Richtung einer Säule erhebt, auf der steht "Maudite soit la guerre - Verflucht sei der Krieg".
Welche Überschrift könnte das Ansinnen des Volkstrauertages deutlicher machen, wird doch an diesem Tag Opfer von Krieg und Gewalt nicht nur gedacht, sondern auch dafür eingetreten, dass es keine neuen Kriege geben soll. So sehr der Friedensrat Markgräflerland sich auch für ein solches Gedenken als mahnende Erinnerung an die Forderung „Nie wieder Krieg!“ einsetzt, so wenig darf aus seiner Sicht gerade dieser Tag dazu missbraucht werden Opfer neuer Kriege zu rechtfertigen.

Für einen Volkstrauertag ohne Militär

 

 

Aus Sicht des Friedensrats stellt die Teilnahme von Militärs an diesen Gedenkfeiern jedoch genau einen solchen Mißbrauch dar, denn dieser Gedenktag braucht vor allem ein klares Bekenntnis zu zu einer Politik der friedlichen Konfliktlösungen. Deshalb setzt sich der Friedensrat für einen Volkstrauertag ohne Militär ein, auch in Müllheim.
 

Denn, so der Friedensrat, " Kriege kommen nicht aus einer schwarzen Wolke, Kriege werden gemacht. Sie stehen für das Scheitern einer Politik, die Krieg als ihre Fortsetzung begreift. Der Friedensrat möchte nicht, dass den Opfern vergangener Kriege neue Opfer hinzugefügt werden."

 

Aufmarsch der Deutsch-Französischen Brigade im September 2022 in Müllheim:

"Jubel über militärische Schauspiele ist eine Reklame für den nächsten Krieg." Kurt Tucholsky

Ansprache des Müllheimer Bürgermeisters Löffler

vor dem Transpararent des Friedensrats im Hintergrund

Mit vielen anderen setzt sich der Friedensrat für eine Politik ein, die auf zivile Konfliktlösungen baut. Darauf möchten wir auch am Volkstrauertag hinweisen und leisten
seit einigen Jahren leistet der Friedensrat Markgräflerland einen Beitrag zur städtischen öffentlichen Veranstaltung zum Volkstrauertag.
Wir zeigen ein friedenspolitisches Transparent und bringen an einigen Büschen Friedenstauben an.

 

 

Damit wollen wir darauf aufmerksam machen, dass gerade dieser Tag Anlass ist, den Krieg zu entehren. Und dass die Teilnahme von Militärs der Deutsch-Französischen Brigade unseres Erachtens dem Anlass dieses Tages widersprechen.

Der Kommandeur der Deutsch Französischen Brigade spricht. Wir fordern: Den Krieg entehren!

 

"Maudite soit la guerre -

 

Verflucht sei der Krieg"

 

 

 

Stimmen aus dem Massengrab

Erich Kästner

Da liegen wir und gingen längst in Stücken.
Ihr kommt vorbei und denkt: sie schlafen fest.
Wir aber liegen schlaflos auf dem Rücken,
weil uns die Angst um Euch nicht schlafen lässt.

Wir haben Dreck im Mund. Wir müssen schweigen.
Und möchten schreien, bis das Grab zerbricht!
Und möchten schreiend aus den Gräbern steigen!
Wir haben Dreck im Mund. Ihr hört uns nicht.

Ihr hört nur auf das Plaudern der Pastoren,
wenn sie mit ihrem Chef vertraulich tun.
Ihr lieber Gott hat einen Krieg verloren
und lässt euch sagen: Laßt die Toten ruhn!

Ihr dürft die Angestellten Gottes loben.
Sie sprachen schön am Massengrab von Pflicht.
Wir lagen unten, und sie standen oben.
„Das Leben ist der Güter höchstes nicht.“

Da liegen wir, den toten Mund voll Dreck.
Und es kam anders, als wir sterbend dachten.
Wir starben. Doch wir starben ohne Zweck.
Ihr lasst Euch morgen, wie wir gestern, schlachten.

Vier Jahre Mord, und dann ein schön Geläute!
Ihr geht vorbei und denkt: sie schlafen fest.
Vier Jahre Mord, und ein paar Kränze heute.
Verlasst Euch nie auf Gott und seine Leute!
Verdammt, wenn ihr das je vergeßt!

Die Tafeln

von Ignaz Wrobel (Pseudonym von Kurt Tucholsky)

In Enghien – ganz recht: da, wo die großen Rennen stattfinden, in diesem pariser Vorort, der fiebernd darauf wartet, daß das große Kasino im See wieder eröffnet wird, wo jetzt das Spiel gesetzlich unterdrückt ist, wo es unter der Oberfläche rastlos arbeitet, um den Sumpf wieder aufzumachen; in Enghien, in dessen Nähe das schöne Montmorency liegt – in Enghien bin ich spazierengegangen, und da ist mir etwas Merkwürdiges aufgefallen.
Sie kennen doch die Schildchen, die in den kleinen Städten bei uns die Häuser zieren, wenn sie versichert sind: „Providentia 1897“ und „Assecurancia 1904“ und so. Und auch hier in Enghien hängen an vielen Häusern Tafeln, immer wieder, da eine, hier eine, große und kleine. Sie sind bunt, auf weißem Glasgrund sieht man ein paar Verzierungsblümchen und einen Text.
Da steht:

La ville d’Enghien
aux Héros de la Grande Guerre
Ici vécut le Caporal Marcel Laurent
tué pour la patrie en 1916

Was ist das –?
Das ist eine Erinnerung, ein Mahnzeichen, ein kleines Pflasterchen für die Frau und die Kinder, die der zurückgelassen hat. Und so viele –! Eine Glastafel – klack, ein trockner Gewehrschuß. Eine Glastafel – bumm – ein Volltreffer, nichts ist mehr von dem Mann übrig. Eine Glastafel – wumm – ein Paar Beine mit Stiefeln liegen unter einem Baum, wohin sie die Explosion geschleudert hat. An jedem zweiten  Haus hängt die Tafel – manchmal stehen mehrere Namen darauf, zwei, drei, vier . . . an beinah jedem Haus.
Ich gehe durch die Straßen und sehe auf einmal nur noch dies: nur noch die Tafeln und die zerschmetterten Köpfe, die auslaufenden Augen, die herausquellenden Lungen, die blutdurchtränkten schweren Reiterhosen, den Haufen Knochen, die verrostete Erkennungsmarke.
Die Tafeln sind eine Sitte wie jede andre auch, ein ehrendes Gedenkzeichen für die Toten. Aber die Tafeln lügen. Es muß nicht heißen: „tué pour la patrie“ – es muß heißen: „tué par la patrie“. Getötet durch diesen niedrigen Begriff „Staat“, getötet durch diesen Wahnsinn, der die Heimat, die jeder liebt, mit einem Nützlichkeitsbegriff verwechselt, der den meisten nicht einmal von Vorteil ist, sondern nur den wenigen. Stirbt man für eine Weizenagentur? Für eine Hypothekenbank? Man stirbt für und durch das Vaterland, und das kommt im wesentlichen auf dasselbe hinaus.
Tafeln, wie lange noch –? Wie lange noch lassen sich erwachsene Menschen einreden, daß eine sinnlose und anarchische Organisation zwischen den Staaten ein Recht hat, das Leben zu nehmen? Wie lange noch lassen sich Mütter die Söhne, Frauen die Geliebten, Kinder den Vater abschießen für eine Sache, die nicht die Kosten für den Mobilmachungsbefehl wert ist? Wie lange noch wird Mord sanktioniert, wenn der Mörder sich nur vorher eine Berufskleidung anzieht, seine Kanonen grau anstreicht, seine Gasbomben von der Kirche einsegnen läßt und sich überhaupt gebärdet wie der Statist einer Wagner-Oper?


Uns fehlen andre Tafeln. Uns fehlt diese eine:

Hier lebte ein Mann, der sich geweigert hat,
auf seine Mitmenschen zu schießen.

Ehre seinem Andenken!

Die Weltbühne, Nr. 16/1925

 

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