Reichspogromnacht 9.11.1938 in Müllheim: Die Täter
Am Jahrestag der Reichspogromnacht vom 9. November 1938 hatte der Friedensrat Markgräflerland wie in den Jahren zuvor zu einem Schweigemarsch zur Erinnerung an die ermordeten jüdischen Müllheimer aufgerufen. Uli Rodewald vom Friedensrat schilderte zu Beginn die Verfolgung der jüdischen Menschen in Müllheim und benannte die Täter, die in in der Nacht vom 9.auf den 10. November 1938 in die Häuser der jüdischen Mitbürger eindrangen, sie verwüsteten und die jüdischen Menschen drangsalierten. Hier dokumentieren wir seine Ausführungen: |
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9. November 2021 Ansprache von Uli Rodewald, Friedensrat Markgräflerland, vor der Evangelischen Stadtkirche in Müllheim: Wir sind heute zusammengekommen, um der jüdischen Menschen aus Müllheim und Badenweiler zu gedenken, die von den Nazis ermordet wurden.
Wenn wir der Opfer gedenken, dürfen wir von den Tätern nicht schweigen. Zumindest über einige geben Akten im Staatsarchiv Freiburg darüber Auskunft: Am 18. März 1948 erhob die Badische Staatsanwaltschaft Freiburg Anklage gegen Heinrich Hehl, Bauunternehmer aus Müllheim, Otto Karcher, Schumacher aus Eimeldingen, Friedrich Schmitt, Kraftfahrer aus Müllheim, Gustav Rheinboldt, Justizoberinspektor aus Schmieheim, Eugen Dörflinger, Schulrektor aus Bad Krozingen, Artur Sieber, kaufmännischer Angestellter aus Heidelberg, und Karl Mewes, Kaufmann aus Marzell.
„In der Nacht vom 9. /10.11.1938 erhielt Kreisleiter Hugo Grüner in Müllheim von der Gauleitung in Karlsruhe die telefonische Mitteilung, dass der Judenschutz aufgehoben sei, und die Weisung, Massnahmen gegen die im Bezirk Müllheim lebenden Juden zu unternehmen. Noch in der gleichen Nacht rief Grüner Angehörige des Kreisstabes, darunter die angeschuldigten Karcher, Sieber und Mewes auf das Büro der Kreisleitung und veranlasste sie, anschliessend einen sogenannten „Judenschreck“ zu veranstalten. Frühmorgens vor 5 Uhr zog dabei der geschlossenen Trupp unter Anführung des Kreisleiters durch die Strassen der Stadt Müllheim, lärmte, gab Schüsse in die Luft ab und bewarf Fensterscheiben und Fensterläden der Judenwohnungen mit Steinen. Die Staatsanwaltschaft warf den Angeschuldigten vor, als Rädelsführer an der Zusammenrottung einer Menschenmenge, die mit vereinten Kräften gegen Personen und Sachen Gewalttätigkeiten beging, teilgenommen zu haben und andere Menschen aus politischen und rassischen Gründen verfolgt und sich dadurch eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht zu haben. Wer waren diese Männer, die diese Straftaten begangen? In der Anklageschrift werden die persönlichen Verhältnisse der Angeklagten so geschildert: 1. Heinrich Hehl 2.Otto Karcher 3. Heinrich Schmitt 4. Gustav Adolf Rheinboldt 5. Eugen Dörflinger 6. Artur Sieber 7. Karl Mewes Im Pozess bestreiten fast alle Angeklagten ihre Beteiligung an den Ausschreitungen oder versuchen sie zu verharmlosen:
Otto Karcher bestreitet „ bis auf das Hinauswerfen eines Teetisches aus dem Hause Heim jede aktive Beteiligung; auch bei dem „Judenschreck“ will er nicht dabeigewesen sein.
Im August 1948 werden die Angeklahgten zu folgenden Strafen verurteilt:
Diese Strafen wurden nur teilweise vollzogen. Die Angeklagten stellten Anträge auf Gnadenerweise. Und nicht nur sie. Auch der Evangelische Kirchengemeinederat von Müllheim setzte sich für Hehl ein und bat um seine Begnadigung. Otto Karcher wurden 179 Straftage erlassen
Heinrich Hehl befand seit dem 2. Mai 1945 wegen Misshandlung von Kriegsgefangenen in französischer Haft und wurde im April 1948 zu einer 10 jährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Im Dezember 1954 wird er daraus durch Gnadenerweis entlassen. Im März 1955 wird Hehl die Strafe aus dem Urteil des Schwurgerichts Freiburg wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Wege der Gnade erlassen. "Durch die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft .... konnten die Vorfälle vom 10. November 1938 in Müllheim nur teilweise aufgeklärt werden. Ungeklärt blieb insbesondere, wer die Zerstörungen auf dem jüdischen Friedhof und in der Synagoge vorgenommen hat. .... Nach der Beweisaufnahme steht auch fest, dass die Angeklagten auch bei den Zerstörungen der jüdischen Wohnungen nur ein Teil der Täter waren. Weit mehr Personen haben sich an diesen Zertsörungen beteiligt, .... von einem grossen Teil der Täter fehlen aber nähere Angaben vollständig.“ Im wesentlichen waren es immer die gleichen Parteileute, die sich mit Stöcken, Beilen, Äxten usw. betätigten, sie veranlassten aber auch andere, darunter junge Burschen, mitzumachen. Der Grossteil der Bevölkerung beteiligte sich nicht, setzte sich aber andererseits auch nicht für ihre jüdischen Mitbürger ein." Wir sind heute auch zusammenkommen um der Opfer dieser zu gedenken und weil wir nicht wollen, dass solche Verbrechen gegen die Menschlichkeit sich wiederholen. Wir Nachgeborenen sind nicht verantwortlich für die Verbrechen unsererer Vorfahren. Aber dass es nicht wieder geschieht, dafür schon. (Alle Zitate aus den Akten des Staatsarchivs Freiburg; F176/1 - 940 ff) |
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► Die Badische Zeitung fasste die Ausführungen so zusammen
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