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85 Jahre Reichspogromnacht - Schweigemarsch zum Gedenken an die ermordeten jüdischen Müllheimer

Erinnern an die Reichspogromnacht 9./10. November 1938 heißt:

Handeln - Für Menschlichkeit und Frieden!

9. November 1938: Organisierte Schlägertrupps der Nazis setzen jüdische Geschäfte, Gotteshäuser und andere Einrichtungen in Brand. Tausende jüdische Menschen werden misshandelt, verhaftet oder getötet.

Spätestens nun konnte jeder in Deutschland sehen, dass Antisemitismus und Rassismus bis hin zum Mord staatsoffiziell geworden waren. Diese Nacht war das offizielle Signal zum größten Völkermord in der Geschichte.

Am 9. November 2023 - dem 85. Jahrestag der Reichspogromnacht -  hatte der Friedensrat Markgräflerland wieder zu einem Schweigemarsch aufgerufen, um der jüdischen Menschen aus Müllheim und Badenweiler zu gedenken, die von den Nazis ermordet wurden.

Erfreulich viele Menschen versammelten sich vor der Evangelischen Stadtkirche in Müllheim und zogen durch die Stadt zum Platz der ehemaligen Synagoge. Dort waren schwarz-weiße Stoffbahnen - die an die Kleidung von KZ-Häftlingen erinnern - aufgezogen, auf denen die Lebensdaten der ermordeten jüdischen Menschen verzeichnet waren.

Zu Beginn der Veranstaltung wandte sich Uli Rodewald vom Friedensrat Markgräflerland mit einer Ansprache an die Teilnehmer der Gedenkveranstaltung, die wir hier dokumentieren:

 

 

Liebe Freundinnen und Freunde,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
sehr geehrte Damen und Herren,

„auch wenn wir versuchen, es von uns abzutrennen und uns fremdzustellen: Das Vergangene  ist nicht tot; es ist nicht einmal vergangen,“ sagt die Schriftstellerin Christa Wolf.

Im Oktober 1940 werden 5617 jüdische Menschen aus Baden und der Saarpfalz  von deutschen Faschisten nach Frankreich in das Konzentrationslager Gurs in den Pyrenäen verschleppt. Manchen gelingt von dort die Flucht, viele sterben dort, wie Elise Willstätter aus Müllheim; die meisten von ihnen werden später in den Vernichtungslagern wie Auschwitz ermordet. Allein aus Müllheim und Umgebung konnten 57 jüdische Frauen und Männer ermittelt werden, die von den Nazis ermordet wurden.

Ihr Leidensweg begann lange vorher. Vom September 1935 ist folgender Bericht datiert: „Besondere Aktivität entfalten die Nazis in Müllheim. ... Die Nazis machen Propaganda für den Plan, den Juden keine Lebensmittel mehr abzugeben. Am letzten Montag war Viehmarkt. Alle Leute, die sich mit Juden unterhielten, wurden von den Nazis fotografiert; die Bilder wurden vergrößert und in öffentlichen Lokalen aufgehängt.  Als besondere Sensation hatte man eine Puppe als Juden ausgestopft, auf die solange eingehauen wurde, bis sie zerplatzte. Der Kampf gegen die Juden vollzieht sich mit aller Gemeinheit und Brutalität. Täglich kommen die unglaublichsten Dinge vor. Man muß sich wirklich fragen, ob wir den eigentlich noch unter Kulturmenschen leben.“ (aus: Manfred Bosch, Als die Freiheit unterging, S.305)

 

Vor 85 Jahren, am 9. November 1938 wurde auch in Müllheim die Synagoge geschändet. Doch nicht nur sie. „In Müllheim wurden an den Häusern der Juden die Fenster eingeschlagen und zum Teil die Wohnungseinrichtungen demoliert. Besonders mitgenommen wurde das Haus des Vorsingers, wo die Juden ihre Zusammenkünfte hatten, seitdem die Synagoge nicht mehr benutzt wurde,“ heißt es in den „Markgräfler Nachrichten“ vom 11. November 1938.
Was mit dem Verbrennen von Büchern 1933 begann, endete mit dem Verbrennen ermordeter Menschen in den Vernichtungslagern der Nazis.

Empörend ist aber auch, dass sich weite Kreise der Bevölkerung an der zynisch „Reichskristallnacht“ genannten Aktion beteiligt oder unbeteiligt zugeschaut haben und die meisten Menschen diese Aktion weitgehend ohne Aufschrei und Widerstand hingenommen haben.
"Ihr seid nicht verantwortlich für das, was geschah. Aber dass es nicht wieder geschieht, dafür schon." Diese Aufforderung von Max Mannheimer, jüdischer Überlebender des Holocaust, macht die aktuelle Bedeutung dieses Gedenkens deutlich.
Obwohl nicht von der Mehrheit der Bevölkerung geteilt, bestimmen heute rechtspopulistische oder gar völkische Tendenzen die innenpolitische Debatte.  Umso bedeutsamer ist die Erinnerung daran, was möglich wird, wenn rassistischen, menschenverachtenden Vorurteilen nicht entgegengetreten wird.

Mit Erich Kästner, dessen Bücher von den Nazis verbrannt wurden, sprachen wir in den Vorjahren davon, dass "nicht warten darf, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf."

Heute sagen wir: Die Lawine rollt.
Der Rechtsruck hat Deutschland erreicht. Aktuell sieht es so aus, dass sich auch bei uns eine gesellschaftliche Mehrheit zusammenfindet, um Flüchtlingen ihre Rechte zu nehmen.

Die Folgen sehen wir an den EU-Aussengrenzen: Sterbenlassen auf Hoher See, illegale und gewaltsame Zurückweisungen, Misshandlungen, willkürliche Inhaftierung in Elendsgefängnissen. All dies geschieht dort jeden Tag.

Den von den Nazis ermordeten jüdischen Menschen aus Müllheim und Badenweiler zu gedenken sind wir heute zusammengekommen.

Dieses Gedenken heisst für uns: Setzen wir uns ein für eine Gesellschaft ohne Rassismus.  Das Leben ist heilig. Das Leben eines jeden Menschen.

Dieses Gedenken heisst für uns:  Setzen wir uns ein für eine friedliche, menschlich Welt. Für eine Welt ohne Kriege, ohne Hass, ohne Gewalt!

Dieses Gedenken heisst für uns: Setzen wir uns eine für eine Welt, in der Mensch dem Menschen ein Helfer ist.

 

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