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Denkmal ohne Nazis - Teningen

Teninger Bürger diskutieren
Emil Tscheulin: Wohltäter oder Nazi?

Veröffentlicht in der gedruckten Ausgabe der ► Badischen Zeitung 20. März 2013
von: Patrik Müller 

Teninger Bürger diskutieren mit Historikern über Emil Tscheulins Verstrickungen in die braune Terrorherrschaft.
TENINGEN. War er ein großer Wohltäter? Ein großer Nazi? Beides zusammen? Geht das? Der Teninger Industrielle Emil Tscheulin ist auch sechs Jahrzehnte nach seinem Tod umstritten. Die Bürgerinitiative Demon (Denkmal ohne Nazis) fordert eine Aufarbeitung seiner NS-Vergangenheit und eine erklärende Zusatztafel neben der Tscheulin-Gedenktafel an der Köndringer Kirche. Rund 120 Interessierte waren zu einer Gesprächsrunde in die Zehntscheuer gekommen – und erlebten eine nicht immer sachliche Auseinandersetzung.
Auch der Enkel ist da. Hans-Georg Otten-Tscheulin steht auf, greift sich das Mikrofon. Die Diskussion, sagt er, sei ihm zu emotional, zu einseitig. "Man muss auch schauen, wie es in der Wissenschaft ausgesehen hat. In Freiburg hat Professor Heidegger Hitler ewige Treue geschworen." Das Publikum wird unruhig. "Der hat aber auch keine Tafel in Teningen", entgegnet ihm eine Zuhörerin.

Die Diskussionsrunde hat einen trockenen Titel: "NS-Geschichte: Verdrängen oder Aufarbeiten? Erinnerungskultur am Beispiel Emil Tscheulin". Auf dem Podium sitzen drei Männer: Der Horbener Historiker Norbert Ohler, Verfasser der Teninger Ortschronik. Der Waldkircher Wolfram Wette, Geschichtsprofessor in Freiburg und Mitbegründer der Historischen Friedensforschung. Und der Köndringer Günter Stein – er ist Mitglied der Bürgerinitiative Demon.

Das Grußwort spricht Heinz-Rudolf Hagenacker, der Bürgermeister. Er erklärt, dass er die Debatte begrüße. Er sagt aber auch etwas anderes: "Ich finde es bedenklich, wenn Bürger sagen, sie wollen heute Abend nicht kommen, weil sie Angst haben, dass sie in die rechtsradikale Ecke gesteckt werden, wenn sie ein entlastendes Wort sagen."

Das Thema ist ein Minenfeld. Die Demon-Initiatoren haben Zettel in der Zehntscheuer aufgehängt und zeigen Sprüche, die sie sich in den letzten Monaten so anhören mussten: Lasst doch diesen alten Scheißdreck bleiben, zum Beispiel. Oder auch: Damals waren alle Nazis. Dem hat man sich gar nicht entziehen können.

Die Diskussion beginnt. Ohler erzählt von Tscheulins Leben. "Er hat für den Nationalsozialismus gekämpft, auch mit Fäusten." Wette beschreibt, wie das gesellschaftliche Klima in den 50er Jahren aussah, als die Gedenktafel an der Köndringer Kirche angebracht wurde. "Viele haben gesagt, dass jetzt endlich mal Schluss sein muss mit der NS-Betrachtung." Stein wiederum erzählt, wie er in einem antifaschistisch geprägten Elternhaus aufwuchs, schon früh in Kontakt mit Holocaust-Überlebenden kam und auf dem Weg zum Köndringer Bahnhof Tag für Tag an der Gedenktafel vorbeilaufen musste. Er schildert auch, welche Widerstände er und seine Mitstreiter in Teningen erlebt hatten – und welche Beleidigungen sie sich anhören mussten.

"Der ungeübte Blick könnte vermuten lassen: Da kämpfen alte Nazis gegen Aufklärer", erklärt Wette, der Friedensforscher. Er hat eine andere Theorie. Viele Familien, sagt er, seien von Tscheulin finanziell abhängig gewesen. "Ich kann verstehen, wenn die sagen: Lasst uns bloß in Ruhe – und das auch an ihre Kinder weitergeben."

Die Drei auf dem Podium sind sich einig: Die Gedenktafel muss um Hinweise zu Tscheulins NS-Biographie ergänzt werden – in diese Richtung zielt auch das Gros der Wortbeiträge aus dem Publikum. Am Ende meldet sich Ulrich Schmidt zu Wort, der evangelische Schuldekan, und sagt die Unterstützung der Kirchengemeinde bei der Aufarbeitung von Tscheulins Rolle in der NS-Zeit zu – Pfarrer Martin Haßler hat sich entschuldigen lassen.

Ein älterer Teninger steht auf und verteidigt Tscheulin. Der Unternehmer, sagt er, habe seine Mitarbeiter nie gezwungen, in die NSDAP einzutreten. "Einige wären auch in der Partei gewesen, wenn sie nicht bei Tscheulin gearbeitet hätten", sagt er. "DIe Tafel ist eine Würdigung von Tscheulins Leistung nach dem Krieg. Ich bin dafür, dass sie belassen wird – ich bin nicht mal für eine Ergänzungstafel."

Dann setzt er sich.

Emil Tscheulin

Der Unternehmer wurde 1884 in Teningen geboren und machte nach seiner Ausbildung zum Maschinenbauer schnell Karriere. 1913 gründete er mit seinem Schwager eine Firma in Teningen, mit den Jahren wurde er zum einflussreichen Wirtschaftskapitän. Seit 1930 setzte er sich für die NSDAP ein, trat der Partei aber erst 1932 bei. 1938 machten ihn die Nazis zum Wehrwirtschaftsführer. Die Gemeinde Teningen erkannte ihm nach dem Krieg die Ehrenbürgerwürde ab – 1950 ernannten ihn dafür die Köndringer zum Ehrenbürger. In Teningen gibt es noch heute eine Tscheulinstraße.  

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