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Schweigemarsch zum Gedenken an die ermordeten jüdischen Müllheimer

Erinnern an die Reichspogromnacht 9./10. November 1938 heißt:

Handeln - Für Menschlichkeit und Frieden!

Der 9. November war der Tag, an dem organisierte Schlägertrupps der Nazis jüdische Geschäfte, Gotteshäuser und andere Einrichtungen in Brand setzten. Es war der Tag, an dem Tausende Jüdinnen und Juden misshandelt, verhaftet oder getötet wurden. Spätestens nun konnte jeder in Deutschland sehen, dass Antisemitismus und Rassismus bis hin zum Mord staatsoffiziell geworden waren. Diese Nacht war das offizielle Signal zum größten Völkermord in der Geschichte.

Am 9. November 2022 hatte der Friedensrat Markgräflerland wieder zu einem Schweigemarsch aus diesem Anlass aufgerufen, um der jüdischen Menschen aus Müllheim und Badenweiler zu gedenken, die von den Nazis ermordet wurden.

Trotz heftigen Regens versammelten sich einige Dutzend Menschen und zogen von der Evangelischen Stadtkirche durch die Stadt zum Platz der ehemaligen Müllheimer Synagoge. Dort waren schwarz-weiße Stoffbahnen - die an die Kleidung von KZ-Häftlingen erinnern - aufgezogen, auf denen die Lebensdaten der ermordeten jüdischen Menschen verzeichnet waren.

Zu Beginn wandte sich Ulrich Rodewald vom Friedensrat Markgräflerland mit dieser Rede an die Teilnehmer der Gedenkveranstaltung, die wir hier dokumentieren:

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

liebe Kolleginnen und Kollegen,

sehr geehrte Damen und Herren,

Stellen wir uns vor, wir kommen nachher nach Hause und unserer Möbel liegen auf der Strasse oder im Bach.

Stellen wir uns vor, wir können am Sonntag nicht mehr in unsere Kirche, weil sie verwüstet ist.

Stellen wir uns vor wir haben Nachbarn, mit denen wir seit Jahren und Jahrzehnten zusammen leben und diese Nachbarn grüssen uns plötzlich nicht mehr.

Stellen wir uns vor, unsere Kinder werden von anderen Kindern erst gemieden und dann angespuckt.

Stellen wir uns das alles vor und sagen dann: Das gibts doch gar nicht, das ist doch nicht möglich.

Was alles möglich ist, sehen wir auch heute wieder.

In einer Zeit, in der die Bereitschaft, andere Menschen abzuwerten, nur weil sie "anders" sind, wieder einmal steigt.

Was Nachbarn Nachbarn antun. Weil sie irgendeinem Rattenfänger folgen, der ihnen sagt, dein Nachbar hat die falsche Hautfarbe, er spricht die falsche Sprache,  er ist nicht rasserein. Also mach ihn kaputt.

Und weil ihre eigene Dummheit und Brutalität sie nicht daran hindert, machen sie den Nachbarn kaputt.

Das bis ins kleinste Dorf durchorganisierte Verbrechersystem der Nazis und ihre Verbrechen an Menschen, die sich ihnen entgegenstellten oder ihnen nicht genehm waren, war nur möglich, weil Nachbarn Nachbarn verfolgten und anzeigten und verrieten oder zusahen, wie sie verfolgt wurden. Und schwiegen.

Müllheimer gingen auf Müllheimer los. Heute vor 84 Jahren versammelten Müllheimer aus der Mitte der Gellschaft mit Äxten, Hämmern und Eisenstangen und schlugen in der Synagoge alles kurz und klein. Jüdische Häuser wurden von diesen Müllheimern/Markgräflern heimgesucht und verwüstet.

Diese Aktion der Schande hiess hier nicht "Kristallnacht" sondern "Judenschreck".

Männer aus der Nachbarschaft zerstörten  mit Äxten und Eisenstangen die Stube ihrer Nachbarn oder ein Gotteshaus . Und Gemeinderäte und Bürgermeister, Pfarrer und Lehrer schwiegen zu diesen Taten, wenn sie nicht selber mitmachten.

► Reichspogromnacht 9. November 1938 in Müllheim: Die Täter

Es wird uns erzählt, Hitler und seine Nazis seien die Täter gewesen. Es ist hinzuzufügen, dass Hitler und seine Schergen ohne die Hilfe des nachbarn, der Hausfrau, des Angestellten dieses Jahrtausenverbrechen nicht hätten begehen können.

Viele schauten zu, wie auch heute wieder viele weltweit zuchauen, ohne ihre Stimme gegen Unrecht zu erheben.

Aber vielleicht - vielleicht - haben wir Nachgeboreen  aus diesen Verbrechen gelernt, dass nicht irgendeiner allein schuldig ist, sondern wir uns auch schuldig machen, wenn sich neue Nazis in Hinterzimmern oder gar ganz offen treffen und wir dazu schweigen.

► Von den Nazis ermordete jüdische Menschen aus Müllheim/Badenweiler Im Gedenken an die ermordeten jüdiscchen Menschen aus Müllheim und Badenweiler werden wir uns gleich zum Schweigemarsch aufmachen.
Zu dem Unrecht, das Menschen geschieht, hier bei uns oder anderswo, lasst uns nicht schweigen, sondern unsere Stimme laut und vernehmlich erheben für:

Menschlichkeit und Frieden."

 

Die Zeichnung "Hilferuf aus Gurs" auf unserem Plakat stammt von ► Max Lingner      (* 17. November 1888 in Leipzig; † 14. März 1959 in Berlin) einem deutschen Maler, Graphiker und Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime.
1927 siedelte er nach Paris über und arbeitete  bei der Zeitung der Gewerkschaften La Vie Ouvrière und für die Zeitung der Jugend l’Avant-Garde und die Zeitung der KP Frankreichs l’Humanité, deren Mitglied er seit 1934 war. Von 1939 bis 1940 wurde er in Haft genommen und im südfranzösischen Internierungslager Camp de Gurs gefangen gehalten. Er  flüchtete und lebte illegal unter dem Namen Marcel Lantier.  1943 schloss sich Lingner der französischen Widerstandsbewegung an und kehrte 1944 nach Paris zurück. Wieder arbeitete er für die l’Humanité und widmete sich trotz schwerer Erkrankung der Malerei.

1949 kehrte er nach Deutschland zurück und wurde Professor für Malerei des Zeitgeschehens an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee.

9.11.1938

              Schweigemarsch zum Gedenken an die ermordeten     jüdischen Müllheimer

                 9.11.2022

 

"Warum kann man diese uralten Geschichten nicht endlich mal ruhen lassen? Seit Jahrzehnten werden wir gezwungen uns dafür zu schämen, was Menschen irgendwann in diesem Land verbrochen haben! Ich kann es nicht mehr hören und sehen! Wer von uns war denn dabei, oder kann etwas dafür? Ich habe dazu nichts getan, denn ich war damals noch nicht mal geboren!!!"

So eine Äußerung zum Aufruf des Friedensrats Markgräflerland zum Schweigemarsch für die ermordeten jüdischen Müllheimer.

Januar 1933:

Hitler wird Reichskanzler. Mit entscheidend dafür war auch die Uneinigkeit der demokratischen, republikanischen Kräfte. Sie bekämpften sich gegenseitig, statt sich einig gegen die Nazis zu stellen.

Die Herrschaft der Nazis kam nicht aus einer grauen Wolke, sie zeichnete sich lange vorher ab:

"Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf ...". (Erich Kästner)

1933 war es zu spät. Die Nazis ermordeten die Menschen im Widerstand oder sperrten sie in Konzentrationslager. Besonderer Verfolgung waren die jüdischen Menschen ausgesetzt.

Am 9. November 1938 wurde auch in Müllheim die Synagoge geschändet. Zudem wurde „in Müllheim an den Häusern der Juden die Fenster eingeschlagen und zum Teil die Wohnungseinrichtungen demoliert. Besonders mitgenommen wurde das Haus des Vorsingers, wo die Juden ihre Zusammenkünfte hatten, seitdem die Synagoge nicht mehr benutzt wurde,“ heißt es in den „Markgräfler Nachrichten“ vom 11. November 1938.

Diese Pogromnacht war aber nur der Vorhof der Hölle. Zwei Jahre später, im Oktober 1940, wurden alle jüdische Menschen aus Baden in das Lager Gurs am Fuß der Pyrenäen deportiert. 900 von ihnen kamen dort ums Leben.

Ab 1942 begann die Vernichtung der jüdischen Menschen in den Vernichtungslagern der Nazis.

"Ihr seid nicht verantwortlich für das, was geschah.  Aber dass es nicht wieder geschieht, dafür schon." Diese Aufforderung von Max Mannheimer, jüdischer Überlebender des Holocaust, macht die aktuelle Bedeutung dieses Gedenkens deutlich.

Denn schon sind sie wieder da: die Nazis. Sie  erzählen, dass Hitler gar nicht so schlecht gewesen sei. Sie verhöhnen die Opfer der Nazis und deren Nachkommen, indem sie sagen, es war nicht so schlimm, was die Nazis ihren Opfern antaten. Oder sie behaupten, dass es sich bei den Verbrechen der Nazis nur um einen "Fliegenschiss" gehandelt habe.

Bei der Erinnerung an die Verbrechen der Nazis geht es nicht darum, dass sich alle Deutschen schuldig fühlen sollen.  Es geht darum, dass alle Menschen gerade in Deutschland wissen müssen, weshalb HEUTE der Widerstand gegen Nazis und ihre rechte Hetze notwendig ist.

Zum Gedenken an die „Reichspogromnacht“ veranstaltet der Friedensrat Markgräflerland am Mittwoch, den 9. November einen Schweigemarsch für die ermordeten jüdischen Müllheimer und für die Opfer des Rassismus von heute.

Treffpunkt ist um 17.00 Uhr an der Evangelischen Stadtkirche in Müllheim in der Werderstr. Der Zug führt zum Gedenkstein für die ehemalige Synagoge in Müllheim.

Der Friedensrat Markgräflerland ruft alle Menschen, denen das Schicksal der Verfolgten und Opfer von Faschismus und Rassismus nicht gleichgültig ist, zur Teilnahme am Schweigemarsch auf.

 

 

 

Am Gedenkstein für die ehemalige Synagoge in Müllheim werden am 9.11. die Namen der ermordeten jüdischen Mitbürger verlesen. Gestreifte Stoffstreifen, die an die KZ Kleidung erinnern versehen mit dem gelben "Judenstern", auf denen die Lebensdaten der ermordeten jüdischen Mitbürger verzeichnet sind, erinnern an sie und mahnen: Nie wieder - Faschismus!

 

 

 

 

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