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Auf dem Weg von Lisa Fittko

Erinnern heißt: HANDELN!

Friedensrat auf dem Weg über die Pyrenäen

 Der Schmugglerweg, der sich an der französisch-spanischen Grenze durch grüne Berge und Rebhänge windet, war nur kurze Zeit der »F-Weg«. Das F stand für Lisa Fittko, eine mutige Widerstandskämpferin, die Dutzende von Flüchtlingen in der Zeit des mit den Nazis kollaborierenden Vichy-Regimes über die Pyrenäen nach Spanien brachte und selbst sieben Jahre lang auf der Flucht war. Zuvor trug der Pfad den Namen »Route Lister«, nach Enrique Lister, General der spanischen republikanischen Armee. Er hatte vielen Menschen in umgekehrter Richtung zur Flucht vor der Franco-Diktatur nach Frankreich verholfen.
 Seit 2007 ist er nach Walter Benjamin benannt, im Gedenken an den Kulturphilosophen, der 1940 nach Frankreichs Besetzung vor den Nazis flüchtete, diesmal Richtung Spanien. Dort nahm er sich vermutlich das Leben. Zu groß war die Angst des Erschöpften, wieder nach Frankreich abgeschoben zu werden.
 
Lisa Fittko, die Frau, die Benjamin über drei hohe Berge nach Spanien brachte, setzte ihm ebenfalls ein Denkmal mit ihrem Buch »Mein Weg über die Pyrenäen«. Das Denkmal, das ihr selbst und ihrem Mann Hans in Banyuls-sur-Mer gewidmet wurde, ist eher bescheiden, am Boulevard des Évadés in Puig del Mas am südlichen Ausgang des Badeorts gelegen. Dort startet auch der Walter-Benjamin-Weg, der an Weinbergen, Brombeerbüschen und Olivenbäumen vorbeiführt. Erstmals oben angekommen, mit Blick auf die spanische und die Purpurküste, schrieb Lisa Fittko: »Ich schnappte nach Luft. Solche Schönheit hatte ich noch nie gesehen.« Auf spanischer Seite geht der Pfad steil herunter, gesäumt von Myrten und Riesenkakteen mit gelben Blüten, landet in dem Grenzort Portbou mit seinem riesigen, geisterhaften Güter- und Rangierbahnhof. Als wir nach siebenstündiger Wanderung mit dem Zug zurück in Cerbère ankommen, dem französischen Pendant zu Portbou, holt die Grenzpolizei zwei junge Menschen aus der Bahn. Ob es Flüchtlinge waren, die abgeschoben werden sollten?
 Die Gruppe von Flüchtlingen, unter denen sich Benjamin befand, war die erste, die Fittko über die Pyrenäen führte. »Es war das Selbstverständliche«, sagte sie später über ihren Einsatz. Solidarität hatte sie schon im Berlin der 20er und 30er Jahre gelernt und erfahren, auch das Pendeln zwischen den Ländern. Das Schmuggeln von Menschen und politischem Material über Grenzen hatte sie ebenfalls bereits erprobt. Die 1909 Geborene stammte aus einer böhmischen jüdischen Intellektuellenfamilie. Der Vater war Journalist, die Schwester der Mutter, die Malerin Malva Schalek, wurde 1944 in Auschwitz ermordet.
 
 Lisa, Kommunistin und Antifaschistin, floh 1933 vor den Nazis aus Berlin. Prag, Basel, die Niederlande und Paris waren die weiteren Stationen ihrer Flucht. Als »vertriebene Fremde« überlebte sie zunächst, dank jener, »deren Menschlichkeit ihnen den Mut gab«, sie zu verstecken und mit Nahrung zu versorgen. Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs als »feindliche Ausländerin« im Lager Gurs nordöstlich der Pyrenäen interniert, gelang ihr 1940 die Flucht. In Marseille angekommen, unterstützten sie und ihr Mann Hans das Netzwerk des US-Journalisten Varian Fry, das die Flucht von bedrohten Künstlern und Intellektuellen organisierte. So konnten rund 2.000 Flüchtlinge vor den Nazis gerettet werden, unter ihnen die Philosophin Hannah Arendt und die Komponistin Alma Mahler.  
    Monatelang schleuste Lisa Fittko Menschen auf dem Bergpfad nach Spanien. Im April 1941 wurden weitere Rettungsaktionen durch die französische Kollaborationsregierung vereitelt. Lisa und ihrem Mann gelang es noch rechtzeitig, nach Kuba zu fliehen. Von 1948 bis zu ihrem Tod 2005 lebte sie in den USA und war dort aktiv in der Bürgerrechts- und Friedensbewegung.

 Portbou

 

 

Text:

Grenzwanderung auf den Spuren von Lisa Fittko (1909–2005),
Von Florence Hervé

 

veröffentlicht in : junge welt

https://www.jungewelt.de/2015/07-24/007.php

 

 

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