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Warum junge Männer zu Mördern werden |
Veröffentlicht von Friedensrat (admin) am Jan 17 2015 |
"Mit Religion hat das nichts zu tun", sagt der Freiburger Kulturtheoretiker Klaus Theweleit im BZ-Interview. Was am heiligen Krieg fasziniert, welche Rolle die Väter spielen und wie Integration scheitert:
Es sind in der Regel junge Männer, die zu Attentätern und Massenmördern werden. Für wen und warum ist der Dschihadismus attraktiv? Mit dem Freiburger Kulturtheoretiker Klaus Theweleit sprach unser Mitarbeiter Jürgen Reuß.
BZ: Wie wird ein Mensch zum Dschihadisten?
Theweleit: Zwei Dinge fallen auf: Die Dschihadisten wollen, dass ihre Tat gesehen wird. Es sind immer Akte, die nicht nur Angst und Schrecken verbreiten, sondern ihnen durch das öffentliche Ausstellen ihrer Macht, ihrer Tatkraft, ihrer Todesbereitschaft Größe vor der Welt verleihen sollen. Und sie morden immer mit einem "Allahu Akbar" auf den Lippen.
BZ: Die religiöse Motivation also ...
Theweleit: Nur: Mit Religion hat das nichts zu tun. Der entscheidende Punkt ist, dass sie in ihrer Wahrnehmung nicht allein als Einzeltäter morden, sondern immer in Berufung auf eine übermächtige Figur. Welche Großmacht das ist, das ist austauschbar. Wenn sich der norwegische Killer Breivik auf die Tempelritter beruft, ist das strukturell der gleiche Bezug wie das "Allahu Akbar" der Dschihadisten.
BZ: Hat das zu tun mit dem Fehlen einer verlässlichen Begrenzung der Eigenwelt durch eine starke Vaterinstanz, wie oft geschrieben wird?
Theweleit: Psychoanalytisch gesprochen kann eine solche Zusammenschaltung mit einer als "allmächtig" gesetzten Überinstanz fehlende Vaterbegrenzungen ersetzen.
BZ: Dschihadisten sind vaterlos?
Theweleit: Die beiden Pariser Attentäter waren Waisen. Es können durchaus Väter da sein; nur spielen sie oft nicht die Rolle einer Sicherheit gebenden Instanz.
BZ: Können Sie das erläutern?
Theweleit: Die meisten deutschen Dschihadisten stammen meines Wissens aus Familien mit einem deutschen und einem nichtdeutschen Elternteil aus der Türkei, dem Balkan oder dem arabischen Raum, was an sich ja wünschenswert ist für Integration.
BZ: Aber?
Theweleit: Es gibt Familien, in denen das nicht klappt: Die Eltern sind getrennt. Oder wenn der Widerspruch sehr präsent ist, dass der vielleicht tyrannische Vater privat sehr mächtig, wie viele prügelnde Väter gesellschaftlich aber völlig machtlos ist – dann fällt die Vaterfigur als Begrenzung des eigenen gesellschaftlichen Orts weg.
BZ: Dschihadisten haben prügelnde Väter?
Theweleit: Das allein ist nicht der Punkt. Entscheidend ist der Widerspruch. Auch wenn ein moderat muslimisches Elternteil nur darauf drängt, zu beten und die Moschee zu besuchen, gesellschaftlich aber nichts zu sagen hat und um die kleine Angestelltenposition kämpfen muss, sieht ein Jugendlicher diesen Widerspruch. Die Eltern sind für ihn schwache Figuren, deren Leben nicht attraktiv ist; und er selbst in der Gesellschaft ist umgeben von eher atheistischen Leuten.
BZ: Für Heranwachsende ist die Vorstellung eines ruhigen, friedlichen Lebens unattraktiv?
Theweleit: Für jeden Jugendlichen ist das eher unattraktiv. Das ändert sich nur durch Beziehungen und genügend Anerkennung. Und genau an dem Punkt wird es für Jugendliche "zwischen den Kulturen" besonders schwierig. Integration heißt ja nicht, ich passe mich an, sondern ich finde jemanden, mit dem ich auf einer gleichberechtigten Ebene leben, mich austauschen und entwickeln kann. Wenn man so jemanden nicht hat, gibt es keine Integration.
BZ: Und dann?
Theweleit: Ein Mensch mit so einer gesellschaftlichen Ortlosigkeit, die mit einer körperlichen Unsicherheit einhergeht, ist psychoanalytisch gesprochen immer bedroht davon, körperlich zu fragmentieren. Wenn dann noch eine Freundschaft bricht, eine Liebesbeziehung oder eine Vereinszugehörigkeit misslingt und bei der Gelegenheit noch "Du gehörst ja nicht hier her" ins Spiel gebracht wird, geht der schwache Boden unter den Füßen oft ganz weg: "Hier werde ich nie was!". Dann muss etwas Größeres her.
BZ: Kann das nicht unsere Zivilisation sein?
Theweleit: Wir haben kein dafür taugliches ideologisches Zugpferd entwickelt, also sucht der Jugendliche im Extremfall nach einer anderen machtvollen Organisation wie Al-Qaida oder, wenn die Umstände anders sind, die Tempelritter oder Neonazis.
BZ: Ist egal, auf welche Macht man sich beruft?
Theweleit: Ich habe das mal die erlaubte Übertretung ins Göttlich-Kriminelle genannt, was auf fast alle diese Killer zutrifft, die sich auf eine größere Macht berufen. Es ist nicht einfach ein Spleen von Breivik, dass er Tempelritter ist. Ohne das wäre er ein für sich selbst verantwortlicher Mensch, für den dann auch die bürgerlichen Gerichte zuständig wären. Da er aber in Auftrag der Tempelritter handelt, ist kein weltliches Gericht für ihn zuständig.
BZ: So ist auch "Allahu Akbar" die Garantie für Unbestrafbarkeit?
Theweleit: In der Vorstellung der Dschihadisten ja. Deshalb muss es auch eine metaphysische göttliche Instanz sein, die die Leere der Ortlosigkeit füllt. Die Attentäter rufen nicht, der Kalif ist groß, sondern Allah ist groß.
Klaus Theweleit wurde 1942 in Ostpreußen geboren, studierte Germanistik und Anglistik in Kiel und Freiburg und war von 1969 bis 1972 als freier Mitarbeiter des Südwestfunks tätig. Theweleit lehrte am Institut für Soziologie der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. Bis zu seiner Emeritierung hatte er über zehn Jahre eine Professur für Kunsttheorie an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe inne und versieht derzeit wechselnde Lehraufträge in Deutschland, den USA, der Schweiz und Österreich.
Seine Dissertation über die "Freikorpsliteratur und den Körper des soldatischen Mannes" war die Grundlage für seinen zweibändigen Klassiker "Männerphantasien" (1977/78), in dem Theweleit eine neue psychoanalytische Faschismustheorie entwickelte.
Weitere Publikationen sind unter anderem "Deutschlandfilme. Godard. Hitchcock. Pasolini. Filmdenken & Gewalt" (2003), "Tor zur Welt: Fußball als Realitätsmodell"(2004), "Absolute(ly) Sigmund Freud. Songbook" (2006) und der auf vier Bände angelegte "Pocahontas-Komplex" (1999 und 2013).
Bei einer Preisverleihung 2014 für sein literarisches Lebenswerk würdigte ihn die Jury als "unkonventionellen Grenzgänger und Querdenker zwischen Psychoanalyse, Literatur, Kunst, Popkultur und Politik."
Zuletzt geändert am: Jan 17 2015 um 12:59 PM
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