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Es gibt ein NATO-Netzwerk in den deutschen Medien |
Veröffentlicht von Friedensrat (admin) am Sep 13 2014 |
»Es gibt ein NATO-Netzwerk in den deutschen Medien«
Gespräch mit Willy Wimmer. Über die geopolitischen Interessen der USA in Europa, über Helmut Kohl und den Angriff auf die parlamentarische Demokratie
Interview: Thomas WagnerWilly Wimmer gehörte 33 Jahre dem Bundestag an. Zwischen 1985 und 1992 war er erst verteidigungspolitischer Sprecher der CDU/CSU und dann Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium. Von 1994 bis 2000 war er Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).
Sie haben nach 1989 als Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Verteidigung die Nationale Volksarmee (NVA) der DDR in die Bundeswehr eingegliedert und darüber hinaus das Konzept entwickelt, mit dem das vereinigte Deutschland in die NATO geführt wurde. Trotzdem wurden Sie bald darauf von US-Repräsentanten des »Kommunismus« bezichtigt.
Das hat uns überrascht und war ein Zeichen, daß sich die Welt auf ungeahnte Weise umbrechen würde. Wir sind damals davon ausgegangen, daß Verhandlungs- und Verständigungsforen wie die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), aus der später die OSZE wurde, erhalten bleiben würden. Mit der KSZE war verbunden, daß man sich auf drei Feldern konzeptionell Gedanken machen konnte: Außen- und -Sicherheitspolitik, Menschenrechte. Der dritte von diesen drei Körben war in der Zeit des Kalten Kriegs nicht genutzt worden: die wirtschaftspolitische Zusammenarbeit. Die Kontinentaleuropäer wollten ihn mit Leben füllen, die USA, die Briten und zum Teil die Kanadier nicht. Schließlich haben die Amerikaner den dritten Korb übernommen und mit »Shareholder Value« gefüllt.
Wir gerieten mit unserem Konzept der sozialen Marktwirtschaft ins Hintertreffen, auch in der eigenen Partei. 2002, auf dem sogenannten Leipziger Parteitag, präsentierte sich die CDU als eine überdimensionierte FDP. Hierhin gehört auch Frau Merkels Idee, eine »marktkonforme Demokratie« zu entwickeln.
In den internationalen Gremien hat sich diese Entwicklung schon so früh abgezeichnet, daß wir nicht überrascht sein mußten. Aber wir konnten das unseren Kollegen, die sich nicht in den internationalen Foren bewegten, einfach nicht vermitteln. Sie lebten in einer ganz anderen Welt. Das trifft auch auf die Gewerkschaften zu. Wir mußten feststellen, daß die USA nicht bereit waren, das erfolgreiche Verhandlungsforum der KSZE fortzusetzen. Henry Kissinger, er verkörperte in dieser Frage die amerikanische Position, hat Mitte der 1990er Jahre dafür plädiert, die internationale Völkerrechtsordnung zu beseitigen und an ihre Stelle eine Rechtsordnung zu setzen, die im Interesse der USA ist. Das beinhaltete, bewährte Verhandlungsforen zur friedlichen Beilegung von Konflikten zu beseitigen. Wenn Helmut Kohl damals von Reisen in die USA zurückkam, hat er sich in der Fraktion immer darüber aufgeregt, daß im US-Kongreß die Stimmung vorherrschte: »Der Dritte Weltkrieg ist beendet, und wir haben ihn gewonnen.« Er hat damals zu uns gesagt: »Der Krieg ist aus Europa nicht verschwunden.« Das hat ihm 1994 in den eigenen Reihen aber keiner geglaubt.
Sie schätzen Helmut Kohl, den Sie noch 2004 bei einer Reise nach China begleiteten, offensichtlich sehr. Im Unterschied zu Ihnen hat er in den vergangenen Jahren aber nicht laut die Stimme erhoben, um gegen die von uns Ihnen angesprochenen Tendenzen in der Außen- und Sicherheitspolitik zu protestieren.
Im Jahr 2000 nahmen Sie in Bratislava an einer vom US-Außenministerium ausgerichteten Konferenz teil, auf der ganz offen über die Strategie Washingtons gesprochen wurde.
Sie erklärten außerdem, wie sie sich Europa künftig vorstellen. Sie wollten einen Linie ziehen, die von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer und von da aus weiter nach Anatolien geht. Alles was westlich von dieser Linie liegt, betrachteten sie als Einflußgebiet der USA. Die Russische Föderation sollte aus den europäischen Entwicklungen herausgedrängt werden. Das heutige Geschehen in der Ukraine ist für mich ein Beleg dafür, daß diese Leute damals nicht in den Mond geguckt haben. 2006, beim NATO-Gipfel in Riga, haben wir den Versuch gesehen, Georgien und die Ukraine in das Bündnis aufzunehmen. Das ist aus einem wichtigen Grund verhindert worden: Die Westeuropäer haben kein Vergnügen daran gefunden. Denn wenn diese durchgehende Limes-Linie von der Ostsee bis nach Anatolien etabliert würde, dann bräuchten Deutsche, Franzosen, Italiener und Spanier sich keine Gedanken mehr darüber machen, wie ungehinderte Beziehungen zur Russischen Föderation aufrechterhalten werden können. Die könnten dann je nach Interessenlage der Vereinigten Staaten von diesen jederzeit unterbrochen werden. Sie könnten dabei auf die Zusammenarbeit mit den osteuropäischen Staaten bauen: vom Baltikum bis zu Rumänien. Die USA unternehmen alles, um dieses Ziel doch noch zu erreichen. So erklärt sich auch ihr Verhalten im Hinblick auf die Ukraine.
Der US-Nachrichtendienst Stratfor hat Anfang dieses Jahres Überlegungen angestellt, durch die Etablierung besonderer Beziehungen mit den osteuropäischen Staaten einen Hebel zu installieren, mit dem sie die NATO links liegen lassen kann.
Wie ordnen Sie die derzeit laufenden Verhandlungen um ein Freihandelsabkommen TTIP zwischen den USA und der Europäischen Union in diesem Zusammenhang ein?
Wie kommt es zu dieser Einseitigkeit?
Als ich 1985 Verteidigungspolitischer Sprecher wurde, hat mich ein leitender Mitarbeiter der Pressestelle der CDU/CSU ausdrücklich gewarnt vor einem Netzwerk der NATO in der deutschen Presse. Wenn es heute irgend etwas zu kommentieren gibt im Zusammenhang mit Entwicklungen innerhalb der Russischen Föderation, werden dafür in unseren Medien immer amerikanische Institutionen mit Sitz in Moskau herangezogen. Sie hören keine Stimme aus Moskau, die russisch ist.
Kommen wir von den Medien zum Bundestag. Momentan gibt es eine koalitionäre Arbeitsgruppe, die sich mit dem sogenannten Parlamentsvorbehalt befaßt. Worum geht es da?
Mich erinnert das an Brünings Notverordnungen in der Endphase der Weimarer Repbulik. Wird das umgesetzt, dann bekommen wir demnächst sicherheitspolitische Notverordnungen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß der Bundestag eine einmal getroffene NATO-Entscheidung widerruft.
Hinzu kommt, daß die Regierung ihren außenpolitischen Handlungsspielraum verringern würde, den sie durch das Parlament bislang noch hat. Wenn sie sich heute gegen einen Auslandseinsatz entscheidet, kann sie das ihren Bündnispartnern mit der fehlenden Zustimmung des Parlaments begründen. Das ist in parlamentarischen Systemen so üblich. Selbst der US-Präsident verweist auf den Kongreß, wenn er etwas nicht will. Wenn der Bundestag nun ausfällt, dann ist es faktisch nicht mehr die Bundesregierung, die über Auslandseinsätze bestimmt, sondern die NATO. In diesem Zusammenhang ist auch die Parallelentwicklung in den Streitkräften kritisch zu sehen. Es gibt immer wieder Bemühungen, dem Generalinspekteur der Bundeswehr die Rolle des faktischen Oberbefehlshabers zu geben. Momentan ist er der Verteidigungsministerin und den Staatssekretären untergeordnet. Diese Bemühungen gibt es seit der Wiedervereinigung. Noch zu Bonner Zeiten war bespielsweise gefordert worden, daß nur ein Viersternegeneral Verteidigungsminister werden sollte. Theodor zu Guttenbergs Versuch, den Generalinspekteur in den Rang eine Staatssekretärs zu heben, konnte verhindert werden. Das erinnert an eine Entwicklung, die es vor dem 30. Januar 1933 auch gegeben hatte. Damals versuchten wirtschaftlich orientierte Kreise und die Armee, der militärischen Führung jene wichtige Funktion zurückzugeben, die sie noch im Kaiserreich hatte. Bestimmte Kreise in der Bundeswehr versuchen mit Hilfe der NATO in Deutschland heute wieder das gleiche.
Sie meinen: Wenn der Parlamentsvorbehalt kippt und der Generalinspekteur zum Oberbefehlshaber gemacht wird, dann entscheidet über den Einsatz der deutschen Streitkräfte künftig die NATO?
Hotline in alle wichtigen westlichen Redaktionen: NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen im Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters im Hauptquartier der Kriegsallianz in Brüssel (11.8.2014)
Foto: Yves Herman/Reuters
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Befürchten Sie, daß die Bundeswehr dann auch gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt werden könnte?
Wenn es um die Rolle der Bundeswehr ging, haben Sie im Bundestag diverse Male eine Minderheitenmeinung vertreten. Wie erklären Sie sich das?
Die Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth hat Ende der 1990er Jahre Klagelieder darüber angestimmt, welcher Druck auf den Bundestag ausgeübt wurde, um diese Angelegenheiten kommerziell verwertbar zu machen. Hinzu kommt, daß das vorhin angesprochene transatlantische Netzwerk natürlich auch in das Parlament hineinwirkt. Man ist gerne im Council für dies und im Council für das. Beispielsweise unterhält Nicolas Berggruen einen eigenen Thinktank.
Der Milliardär lädt sogenannte Elder Statesmen und Wirtschaftsvertreter in die Google-Zentrale nach Kalifornien.
Und warum wird das von den Parlamentariern geschluckt? Weil man sich nicht mit allem befassen kann?
Sie rechnen auch von seiten der Opposition im Hinblick auf die Militarisierung der Außenpolitik nicht mehr mit viel Widerstand. In dieses Urteil schließen Sie die Fraktion Die Linke mit ein. Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?
Mit wem?
In Ihrem gemeinsam mit Wolfgang Effenberger verfaßten Buch »Wiederkehr der Hasardeure: Schattenstrategen, Kriegstreiber, stille Profiteure 1914 und heute« befürchten Sie, daß wir uns auf dem Weg in den Dritten Weltkrieg befinden. Wie begründen Sie das?
Wolfgang Effenberger/Willy Wimmer: Wiederkehr der Hasardeure. Schattenstrategen, Kriegstreiber, stille Profiteure 1914 und heute. Verlag zeitgeist Print & Online, Höhr-Grenzhausen 2014, 640 Seiten, 29,90 Euro
Zuletzt geändert am: Sep 13 2014 um 9:47 AM
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