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Ein Dorn im Auge der Diktatur

Veröffentlicht von Friedensrat (admin) am Nov 26 2015
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> Badische Zeitung 26. November 2015

 

  1. Das Müllheimer Gasthaus Kreuz, in dem Gustav Oberst Wirt war Foto: Dorothee Philipp

 

MÜLLHEIM. Am 16. April 1942 verurteilte das Landgericht Freiburg zwei Männer aus Müllheim zu Gefängnisstrafen: Otto Weis, 74 Jahre alt, und Gustav Oberst, 42 Jahre alt. Weis sollte für acht und Oberst für 14 Monate ins Zuchthaus. Sie hatten bezweifelt, dass der Krieg zu gewinnen ist, und das hatten andere gehört. "Wehrkraftzersetzung" hieß der Straftatbestand.

Die Akten und Dokumente zu diesem Drama hat Ulrich Rodewald vom Friedensrat Markgräflerland nach wochenlangen Recherchen im Freiburger Staatsarchiv zusammengestellt. "Die Arbeit des Friedensrates will auch zeigen, dass in der Nazizeit nicht nur jüdische Mitbürger zu leiden hatten, sondern der Terror jeden treffen konnte", sagte Rodewald der BZ. Das Material beleuchtet auch einen kleinen Ausschnitt Heimatgeschichte aus einer Epoche, deren Bewältigung immer noch nicht abgeschlossen ist.

Otto Weis


Der wegen eines Dienstunfalls schon seit 1908 pensionierte Polizeibeamte Otto Weis war viel herumgekommen. Eine Friseurlehre in Badenweiler, fünf Monate Fremdenlegion, 1886 bis 1891 freiwilliger Heeresdienst in Ulm, Steuerbeamter in Mülhausen, ab 1894 im badischen Polizeidienst, nach der Pensionierung Herbergsvater in der Freiburger Armenherberge, danach bis 1928 Verwalter beim Bauverein Freiburg. 1928 zog Weis nach Müllheim, wo er sich ein Haus gebaut hatte und ab da von einer monatlichen Rente von 115 Reichsmark lebte. Weis hatte 1893 seine Frau Olga geheiratet, aus der Ehe gingen fünf Kinder hervor, von denen zum Zeitpunkt seiner Verurteilung noch zwei am Leben waren. Welchen geistigen Hintergrund hatte er? Von 1910 bis 1932 war er Mitglied in der SPD, 1928 schloss er sich dem internationalen freiwilligen Hilfsdienst SCI (Service Civil International) an, wo er an Einsätzen teilnahm und Vorträge hielt. Auch in der Wochenschrift "Mutiges Christentum" finden sich zahlreiche Beiträge von Weis. Den Nationalsozialisten reichte dies, ihn als "politisch unzuverlässig" einzustufen. Mitmenschliches Denken und Handeln brachte auch seine Tochter Lydia, Lehrerin und Mitglied im DRK, in die Gefängnisse der Nazis: Sie hatte sich beim Müllheimer Landrat offiziell darüber beschwert, dass in Müllheim russische Kriegsgefangene bei der Zwangsarbeit geschlagen würden. Dafür wurde sie mehrere Monate in "Schutzhaft" genommen, der angezeigte Fall zu den Akten gelegt.

 
Gustav Oberst


Weis hatte Oberst im Müllheimer Gasthaus "Kreuz" kennengelernt, das dieser seit 1937 gepachtet hatte. Der Pensionär bot dem Wirt seine Hilfe bei der Buchführung an. So sah man sich regelmäßig in der Wirtschaft, sprach auch über das Zeitgeschehen. An einem Tag kamen zwei polnische Zwangsarbeiter, die von ihrer Herrschaft verprügelt worden waren, ins "Kreuz". Oberst schenkte ihnen etwas ein und zeigte Mitgefühl und Verständnis, was der Gestapo umgehend kolportiert wurde. Am 30. Juli 1941 hatte darauf der als fanatisch und brutal bekannte Müllheimer Kreisleiter der NSDAP, Hugo Grüner, dem "Kreuz"-Wirt einen Brief geschrieben, in dem er ihn beschimpft, die Polen bewirtet und bedauert zu haben und ihm androht, er werde die Wirtschaft schließen lassen, wenn so etwas wieder vorkomme. Auch Oberst war den Nazis ein Dorn im Auge. Er stammte aus Bernau im Hochschwarzwald, wo er mit acht Geschwistern auf dem elterlichen Hof aufgewachsen war, wo er bis zu seiner Eheschließung 1936 arbeitete. Mit 37 Jahren pachtete er das "Kreuz" in Müllheim, zu dem auch eine Landwirtschaft gehörte. Die Art, wie er den Hof bewirtschaftete, rief den "Reichsnährstand" auf den Plan, der Oberst immer wieder unterstellte, er käme seinen Pflichten nicht nach. Die Müllheimer Kreisbauernschaft beantragte deswegen ein Ordnungsstrafverfahren, weil "die Grundstücke des Beschuldigten sich in einem Zustand befänden, der an der untersten Grenze einer ordnungsgemäßen Bewirtschaftung liege", heißt es in der Anklageschrift vom 24. März 1942. Was hatte sich Oberst zuschulden kommen lassen, dass er ins Zuchthaus musste? Er war am 18. Dezember in Zunzingen unterwegs, um bei einer Bäuerin Schnaps für seine Wirtschaft zu kaufen. Dort habe er der Frau geraten, ihr Geld in Sachwerten anzulegen, da es bald "kaputt" gehe. Er wisse bestimmt, dass Deutschland den Krieg verliere. Diese Ansicht teilte er mit Otto Weis. So kommt es, dass die Strafakten die beiden "Fälle" bis zur Verurteilung gemeinsam führten.

Zuchthausstrafe


Otto Weis wurde ins Strafgefängnis Mannheim gebracht, Oberst zunächst nach Dieburg in Hessen und danach in das Strafgefangenenlager Klöcknerwerke in Siegburg. Weis, gesundheitlich schwer angeschlagen, kam am 15. August 1942 gegen Auflagen durch einen "Gnadenerweis" wieder frei. Seine Rehabilitation durch das Badische Landgericht Freiburg, das am 12. September 1947 die Strafen gegen die beiden Männer förmlich aufhob, erlebte er nicht mehr. Er starb am 23. November 1942. Auch Gustav Oberst wurde ein solcher "Gnadenerweis" zuteil. In der letzten Phase des Krieges sollte er sogar wieder "wehrwürdig" gemacht werden, weil den Nazis die Soldaten ausgingen: Am 13. Januar 1944 bescheinigte Kreisleiter Grüner in einem als streng vertraulich gekennzeichneten Dokument dass "gegen die Wiederherstellung der Wehrwürdigkeit... keine Bedenken geltend gemacht" (werden).

Unterstützung für Oberst


Wie sehr Gustav Oberst während seiner Inhaftierung in seiner Umgebung fehlte, zeigen drei Dokumente aus dem Staatsarchiv: Am 13. April 1942 erklären neun Landwirte aus Müllheim mit eigenhändiger Unterschrift, dass "wir den Land- und Gastwirt Gustav Oberst in Müllheim (Baden) als äusserst fleissigen und tüchtigen Landwirt kennen gelernt haben...". Der Ortsbauernführer Schindler bescheinigt in einem Schreiben vom 10. September 1942, dass Obersts Frau mit der Landwirtschaft überfordert sei. "Mit Rücksicht auf die Dringlichkeit und Wichtigkeit der Feldbestellung im Herbst und die rechtzeitige Einbringung der Kartoffelernte im Hinblick auf die Sicherstellung der Volksernährung, befürworte ich für den Land- und Gastwirt Gustav Oberst einen längeren Heimaturlaub". Und auch der Berliner "Aktiengesellschaft für Tankholz und andere Generatorenkraftstoffe" fehlte Obersts Arbeitskraft: Mit seinem Traktor hatte er Holz für "Generatorzwecke", also Holzvergaser in Kraftfahrzeugen, aus dem Wald geschafft. "Die jetzt mit allen Mitteln vorwärtsgetriebene Umbauaktion auf feste Treibstoffe zwingt uns, jede Menge Holz bestmöglich auszunützen", schreibt der Beauftragte der AG, Walter Hesse, an den Oberstaatsanwalt des Landgerichts Freiburg und bittet deswegen, "wenn irgend möglich, Herrn Oberst für die neue Abfuhrperiode einen längeren Heimaturlaub zu gewähren...". Man sei "gerade im Kreis Mühlheim auf das Fahrzeug des Herrn Oberst in besonderem Maße angewiesen".

Grundgesetz, Artikel 5


Berge von Akten, Hunderte von Stempeln und schmerzhafte Einschnitte in das Leben von einfachen Männern und ihren Familien brachte diese Strafaktion mit sich. Sie führt auf der Ebene des praktischen Alltagslebens den Gesinnungsterror der Nazis vor Augen. Und sie zeigt, welche Werte in dem heute kaum noch bewusst wahrgenommenen "Recht auf freie Meinungsäußerung" (Grundgesetz, Artikel 5) verankert sind.

Zuletzt geändert am: Nov 26 2015 um 2:49 PM

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