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Die Repression hält die Gelbwesten nicht auf

Veröffentlicht von Friedensrat (admin) am Apr 28 2019
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Die Repression hält die Gelbwesten nicht auf

Sebastian Chwala

 

 



 

 
Seit November gehen die Gelbwesten auf die Straße. Präsident Emmanuel Macron versucht der Bewegung mit massiver Repression zu entgegnen. Doch Haftstrafen, Schlagstöcke und Militär auf den Straßen ändern kaum etwas – die DemonstrantInnen werden nicht weniger.

Erst am Samstag tauchten Protestierende ganz Frankreich wieder in das bekannte neongelb. Auch nach bald fünf Monaten kann die „Gelbwesten“-Bewegung noch immer Zehntausende Menschen für Demonstrationen mobilisieren. Zuletzt verlor Frankreichs Elite die Geduld: Nach anfänglicher kurzer Duldung der Proteste, wendete sich das Blatt. Die französische Regierung, allen voran der zuständige Innenminister Christophe Castaner, begegnete den Gelbwesten nun mit absoluter Härte, die im restlichen Europa ihres Gleichen sucht. Die Bilanz der Opfer der staatlichen Repression ist erschütternd. Zum einen ist da das Vorgehen der Polizei auf der Straße: 23 Personen verloren durch Gummigeschosse ein Auge, 200 weitere erlitten teils schwere Körperverletzung. Und dann sind da noch jene 2.000 Urteile, die bis jetzt gegen AktivistInnen gesprochen wurden.

Dabei ist das rigorose Vorgehen keine Überraschung. Einerseits ist da Staatspräsident Emmanuel Macron und seine rechtsliberale Partei „Die Republik in Bewegung“. Sie haben die Gelbwesten schlicht unterschätzt. Die gaben sich nicht einer kurzzeitigen Aussetzung von Benzinpreiserhöhungen und steuerbefreiten Überstunden zufrieden, sondern forderten eine gerechte Steuerpolitik, höhere (Mindest-)Löhne und mehr Demokratie. Wirklich entgegenkommen kann Macron, der sich eine Anpassung des französischen Sozial- und Wirtschaftssystem an das deutsche Vorbild auf die Fahnen geschrieben hatte, den Gelbwesten nicht. In Ermangelung an Alternativen bleibt nur die Repression.
Militär auf der Straße

Von der Polizei ausgeführt, plant sie die Politik – allen voran Innenminister Castaner. Sogar Einheiten des Militärs im Antiterroreinsatz sollten im März kurzzeitig Teil der Eindämmungstrategien gegen die Gelbwesten werden. Damit wollte man diese in der Öffentlichkeit als Bedrohung des Staates brandmarken. Zuletzt musste sogar der Chef der Pariser Polizeibehörde gehen, weil er nicht rücksichtslos genug die Demonstrierenden vorgegangen war. Außerdem wurden immer härtere Gesetzte erlassen. Ein „Gesetz gegen Randalierer“ wurde erlassen, das Vermummung nun zur Straftat erklärt. Außerdem sind nun intensive Personenkontrollen im Umfeld von Demonstrationen erlaubt.

Ursprünglich sollte es den Verwaltungsbehörden sogar möglich werden, Personen, die als Gefährder eingeschätzt wurden, ohne Gerichtsurteil, das Demonstrationsrecht zu entziehen. Dieser Paragraph des Gesetzes wurde vom obersten Verfassungsrat allerdings als verfassungswidrig eingestuft. All das sorgte dafür, dass die Anklage des repressiven Staates zu einem einigenden Faktor der Bewegung der Gelbwesten wurde. Mehrere Aktionstage wurden den Opfern von Polizei und Justiz gewidmet und ein Teil der Schwerstverletzten demonstrierte in der ersten Reihe mit.
Geschichte der Gnadenlosigkeit

Doch andererseits versteht man das gnadenlose Vorgehen gegen die Demonstrierende nicht, ohne die brutale Geschichte politische Konflikte in Frankreich zu berücksichtigen. Man muss nicht an die Revolution 1789 oder die Pariser Kommune denken, um das zu erkennen. Auch die französische Republik ging hielt sich nicht zurück und schlug durch den Einsatz des Militärs Massenstreikbewegungen in den 1880er Jahren, sowie Streikbewegungen 1906 und 1947 derart brutal nieder, dass Todesopfer zu beklagen waren. Im Oktober 1961 ging die französische Polizei in Paris auf eine DemonstrantInnen los, die die algerische Unabhängigkeit forderten – und tötete mindestens 40, wahrscheinlich aber über 200 Menschen.

In Frankreich sind sich politische und gesellschaftliche Eliten immer der Gefahr bewusst, dass größere Massenbewegung schnell zur Infragestellung der staatlichen und ökonomischen Ordnung führen könnten. Der Konsens steht, anders als in den sozialpartnerschaftlich geprägten Staaten Mittel- und Nordeuropas, in Frankreich nicht im Mittelpunkt. Macron hatte zwar ursprünglich den Eindruck erweckt, er strebe auch hier eine „Normalisierung“ an, sein autoritärer Politikstil allerdings ist nur darauf gerichtet, Gewerkschaften als relevante gesellschaftliche und betriebliche Akteure an den Rand zu drängen.
Instanz zur Kontrolle der Migrant_innen

Dazu kommt die Kolonialgeschichte Frankreich. Sie spielt bei den Gewaltexzessen der französischen Polizei noch heute eine Rolle. Ein Großteil der Sondereinheiten, die am Rande der samstäglichen Demonstrationen der Gelbwesten Jagd auf die Teilnehmer_innen machen, sind ursprünglich nur entstanden, um die migrantischen Milieus in den Vorstädten zu überwachen. Seit den 1950er Jahren müssen Menschen mit nicht-weißer Hautfarbe immer neue Formen und Strategien der Erniedrigung durch Zivil- und reguläre Polizeieinheiten über sich ergehen lassen. Die Einführung von Gummigeschossen und die Legalisierung von Verhaftungen auf den bloßen Verdacht hin es könnten Straftaten begangen werden, stammen aus dieser Zeit.

Neu ist nun, dass eigentlich rassistische Strategien auch gegen weiße und nicht primär ausgegrenzte Menschen eingesetzt werden. War bisher nur den Menschen aus den Vorstädten oftmals ein Leben im Strafvollzug vorbestimmt, droht dies nun auch den Gelbwesten. Dass von 2000 verurteilten Aktivist_innen, 800 zu Haftstrafen ohne Bewährung verurteilt wurden, spricht eine deutliche Sprache.
Die Repression als Chance

Das ist allerdings auch ein Chance, Ressentiments zwischen weißen Arbeiter_innen- und Angestelltenmilieus, die zum Teil bisher mit Sympathie die rassistischen Strategien von Staat und Polizei begleitet haben, und migrantisch geprägten Milieus abzubauen. Durch die Ähnlichkeit der Interessen, nämlich der Überwindung des immer weiter um sich greifenden Polizeistaates und einer Gesellschaft, die allen Menschen gleiche Rechte und Möglichkeiten einräumt, ist der Raum für politische Bündnisse geschaffen, wie ihn einige Gelbwesten auch bereits erkannt haben.

Somit könnte Macrons und Castaners Versuch die Gegner ihrer Politik durch eine Strategie der Angst wieder zum Schweigen zu bringen, zu einer Stabilisierung und Radikalisierung der „Gelbwesten“-Bewegung führen und neue Räume für progressive politische Strukturen in der Zukunft schaffen. Denn trotz des massiven staatlichen Drucks sinken die Teilnehmer_innezahlen an den samstäglichen Aktionen nur langsam. So ergeben die Zählungen Gelbwesten, dass, von wenigen Ausnahmen abgesehen, jede Woche um die 100.000 Menschen auf der Straße sind. Gleichzeitig macht es den Eindruck, dass sich die Akteure radikalisieren. So kann es inzwischen auch vorkommen, dass innerhalb der Demozüge die „Internationale“ angestimmt wird.

https://mosaik-blog.at/repression-gelbwesten-macron/

 

 

Zuletzt geändert am: Apr 28 2019 um 4:11 PM

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