skip to content

Nachrichten

Deutschlands Schritte zum Aufbau einer EU-Armee

Veröffentlicht von Friedensrat (admin) am Dec 15 2014
Nachrichten >>

»Vorsicht bei der Wortwahl«

Wo sich »Partner« in der Europäischen Union dem Willen Deutschlands beugen, unternimmt Berlin Schritte zum Aufbau einer EU-Armee. Wegen möglicher Vorbehalte soll das jedoch noch nicht laut ausgesprochen werden.

Von Peer Heinelt
Bundespräsident Joachim Gauck vor Soldaten des I. Deutsch-Nieder
Bundespräsident Joachim Gauck vor Soldaten des I. Deutsch-Niederländischen Korps: Geübt wurde - als ginge es in die Ostukraine - der Kampf gegen »bewaffnete Aufständische«, um »den inneren Frieden wiederherzustellen« (Camp Nieuw-Millingen, 13.5.2014)

Am 29. und 30. Oktober fand in Berlin die alle zwei Jahre vom Bundesverteidigungsministerium veranstaltete »Bundeswehrtagung« statt. Hiesige Medien berichteten breit über das Treffen von mehr als 230 zivilen und militärischen »Führungskräften« der deutschen Armee - insbesondere über die von Ressortchefin Ursula von der Leyen (CDU) bei dieser Gelegenheit erneut propagierte »Attraktivitätsagenda«, mit der die Ministerin den Dienst in den zur global agierenden Söldnertruppe umgebauten Streitkräften ansprechender gestalten will. Rund 500 Millionen Euro sollen in den nächsten drei Jahren aufgewendet werden, um etwa Kasernen und Unterkünfte mit Kühlschränken, Flachbildfernsehern und Internetzugängen auszustatten oder die Kinderbetreuungseinrichtungen der Bundeswehr auszubauen. Das sorgte teils für Beifall, teils für Befremden. Die Kritiker betonten meist, das Geld sei für Waffen und anderes Kriegsgerät besser ausgegeben. Allenfalls am Rande erwähnt wurde die bei der »Bundeswehrtagung« von Ministerin von der Leyen und ihrem polnischen Amtskollegen Tomasz Siemoniak unterzeichnete »Absichtserklärung zu einer Deutsch-Polnischen Heereskooperation«. Und das, obwohl das Verteidigungsministerium im Anschluss verlauten ließ, das Abkommen sei ein »zukunftsweisende(r) Meilenstein« auf dem Weg zu »europäische(n), integrierte(n) Streitkräftestrukturen«.

Der Begriff steht gemeinhin als Synonym für eine EU-Armee unter deutscher Führung, der man durch bilaterale Arrangements näher kommen will. Ziel der nun mit Polen geschlossenen Vereinbarung ist es denn auch, die »Interoperabilität« beider Heere - ihr koordiniertes Zusammenwirken im Gefecht - zu verbessern. Folgerichtig beinhaltet das Abkommen den Aufbau einer »beiderseitige(n) Heeresverbindungsorganisation« ebenso wie die »vertiefte Zusammenarbeit« zwischen den Panzertruppen, den Heeresaufklärern, den Gebirgsjägern und der Artillerie beider Armeen. Geplant ist zudem der Austausch von Offizieren und die gemeinsame Ausbildung von Offiziersanwärtern.

Indes beschränkt sich die »Absichtserklärung« nicht auf das Abhalten von Lehrgängen und Manövern, sondern sieht explizit die »wechselseitige Unterstellung von Kampftruppenbataillonen« vor. Der »Interoperabilität« der beiden Armeen dient auch die Ausstattung des polnischen Heeres mit Kampfpanzern vom Typ »Leopard 2« aus dem Hause der deutschen Waffenschmiede Krauss-Maffei Wegmann. Aktuell sind es knapp 130. Rund 120 weitere sollen bis 2015 hinzukommen. Als im November 2013 der zugehörige Kaufvertrag zwischen Deutschland und Polen geschlossen wurde, sprach der seinerzeitige Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) begeistert von einem »weitere(n) Baustein der sehr engen und fortzusetzenden Zusammenarbeit zwischen den Streitkräften unserer beiden Staaten«.

Ähnlich euphorisch hatte sich de Maizière im Mai desselben Jahres bei der Unterzeichnung einer »Absichtserklärung« über die Kooperation der deutschen und der polnischen Kriegsmarine gezeigt. »Das ist eine ganz neue Qualität von Zusammenarbeit in der Ostsee, für die Ostsee, für unsere beiden Staaten in der NATO und der Europäischen Union«, ließ der heutige Bundesinnenminister verlauten. Insgesamt beinhaltet die Vereinbarung 28 sogenannte Projekte, die von »gemeinsamer Ausbildung« über die »gemeinsame Überwachung der Ostsee« bis hin zu »gemeinsamen Einsätzen« reichen. Analog zur jetzt förmlich besiegelten deutsch-polnischen Heereskooperation steht auch hierbei die »Interoperabilität« der beiden Armeen im Vordergrund.

Die Fähigkeit, im Gefecht möglichst nahtlos zusammenzuarbeiten, drückt sich unter anderem darin aus, dass die Kriegsmarinen beider Länder den maßgeblich von der deutschen Waffenschmiede Diehl BGT Defence entwickelten »Seezielflugkörper« RBS15 Mk3 nutzen. Die Rakete zeichnet sich Herstellerangaben zufolge durch eine Reichweite von mehr als 200 Kilometern und die Fähigkeit zum Umfliegen von Inseln aus. Aufgrund ihrer niedrigen Flughöhe und »nicht vorhersehbare(r) Ausweichmanöver im Endanflug« verfüge sie außerdem über ein »hohes Durchsetzungsvermögen« gegenüber der feindlichen Luftabwehr, heißt es. Wie im Falle der nunmehr »vertieften« Heereskooperation stand der militärpolitische Führungsanspruch der BRD schon beim Abschluss des deutsch-polnischen Marineabkommens offenbar nicht zur Debatte: Laut Bundeswehr bezeichnete Siemoniak die Vereinbarung als »besonders wichtig« für die »konzeptionelle Weiterentwicklung« der Streitkräfte seines Landes.

Thinktanks grübeln über EU-Armee

Als Paradebeispiel der deutsch-polnischen Militärkooperation gilt in Armeekreisen das »Multinationale Korps Nordost« (MNK NO) mit Sitz im polnischen Szczecin. Der Inspekteur des deutschen Heeres, Generalleutnant Bruno Kasdorf, nannte es erst unlängst »unser großes gemeinsames Projekt«. Die 1999 auf Betreiben Deutschlands, Polens und Dänemarks ins Leben gerufene Truppe ist fester Bestandteil der NATO-Kommandostruktur in Europa und laut Bundeswehr befähigt zur »Führung von multinationalen Großverbänden«. Wie die deutschen Streitkräfte erklären, spielt das MNK NO nicht nur eine »Schlüsselrolle« bei der »Osterweiterung« der NATO, sondern auch bei den Interventionskriegen des Militärbündnisses. Mitglieder des Korps, das abwechselnd von einem deutschen und einem polnischen General befehligt wird, waren mehrfach in Afghanistan eingesetzt. Ähnlich verhält es sich mit dem im französischen Strasbourg stationierten »Eurokorps«, in das 2016 auch polnische Militärs aufgenommen werden sollen. Die bisher aus Deutschen, Franzosen, Spaniern, Luxemburgern und Belgiern bestehende Einheit wurde Anfang der 1990er Jahre als Befehlsstab der EU konzipiert und übernahm im Rahmen mehrerer Interventionskriege entsprechende Führungsaufgaben - etwa in der serbischen Provinz Kosovo und am Hindukusch. Im Bedarfsfall kann das »Eurokorps«, das turnusmäßig Personal für die »Schnelle Eingreiftruppe« der NATO stellt, über Kampfeinheiten mit einer Gesamtstärke von bis zu 60.000 Soldaten verfügen. Wie die Bundeswehr erklärt, bilde es somit die »Grundlage für eine effiziente Europa-Armee mit einer autonomen Führung«.

Ganz ähnlich sieht das auch Claudia Major, ihres Zeichens stellvertretende Leiterin der »Forschungsgruppe Sicherheitspolitik« der regierungsnahen Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Wie sie in einem Anfang dieses Jahres auf der Webseite des Bundesverteidigungsministeriums publizierten Aufsatz schreibt, könnten europäische Kampfverbände wie die bereits existierenden »EU-Battlegroups« als »Nukleus einer europäischen Armee« fungieren. Die Zeit für eine solche ist ihrer Ansicht nach offenbar ohnehin reif: Da die USA künftig »in Asien oder Afrika stärker gebunden« seien, müsse die EU »weltweit mehr Verantwortung übernehmen«, erklärt Major im besten Einvernehmen mit Verteidigungsministerin von der Leyen, Außenamtschef Frank-Walter Steinmeier (SPD) und Bundespräsident Joachim Gauck. Als weiteren Stimulus für die Aufstellung einer EU-Armee identifiziert die Wissenschaftlerin die Überschuldung südeuropäischer EU-Staaten, die es Deutschland ermöglichte, den betroffenen Ländern eine rigide Austeritätspolitik zu oktroyieren. Die »Finanzkrise« habe eindrücklich gezeigt, »dass staatliche Souveränität, die auf Autonomie aufbaut, illusorisch ist«, verkündet Major triumphierend: »Die EU-Staaten müssen Einsparungen vornehmen und erkennen zunehmend die europäische Ebene als Lösungsansatz an.« Allerdings mahnt die Autorin explizit zur »Vorsicht bei der Wortwahl«, da Länder wie Großbritannien »in absehbarer Zeit kein Projekt unterstützen« würden, das »mit dem Etikett >europäische Armee< versehen« sei: »Gleiche Anstrengungen unter einem anderen Namen haben mehr Erfolgsaussichten.«

Auch Hans-Georg Ehrhart vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH) empfahl erst unlängst, mit dem Begriff »EU-Armee« nicht unbedingt hausieren zu gehen. Besser sei es, von einer »engere(n) Zusammenarbeit« auf militärpolitischem Gebiet zu sprechen, erklärte der Wissenschaftler in einem Interview mit der Wirtschaftswoche: »Das sollte man nicht europäische Armee nennen. Wir nennen die NATO ja auch nicht atlantische Armee.«

Zuletzt geändert am: Dec 15 2014 um 7:10 PM

Zurück zur Übersicht

Copyright © 2010 Friedensrat Markgräflerland | Website Templates by Tradebit | Powered by Website Baker