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Kosovo-/Jugoslawienkrieg 1999

Veröffentlicht von Friedensrat (admin) am Mar 17 2014
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Kosovo-/Jugoslawienkrieg 1999

 „Es begann mit einer Lüge“

 von Clemens Ronnefeldt

 

Vor 15 Jahren, am 24. März 1999, hielt der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder die nachfolgende TV-Ansprache: „Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, heute abend hat die NATO mit Luftschlägen gegen militärische Ziele in Jugoslawien begonnen. Damit will das Bündnis weitere schwere und systematische Verletzungen der Menschenrechte unterbinden und eine humanitäre Katastrophe im Kosovo verhindern. Der jugoslawische Präsident Milosevic führt dort einen erbarmungslosen Krieg. Die jugoslawischen Sicherheitskräfte haben ihren Terror gegen die albanische Bevölkerungsmehrheit im Kosovo allen Warnungen zum Trotz verschärft. Die internationale Staatengemeinschaft kann der dadurch verursachten menschlichen Tragödie in diesem Teil Europas nicht tatenlos zusehen. Wir führen keinen Krieg, aber wir sind aufgerufen, eine friedliche Lösung im Kosovo auch mit militärischen Mitteln durchzusetzen (...)“ (1).

 

Noch einen Tag zuvor, am 23. März, wird vermutlich auch Bundeskanzler Gerhard Schröder den Lagebericht von 15.00 Uhr der Nachrichtenoffiziere des Bundesverteidigungsministeriums zur Kenntnis genommen haben, in dem u.a. zu lesen war: „Das Anlaufen einer koordinierten Großoffensive der serbisch-jugoslawischen Kräfte gegen die UCK im Kosovo kann bislang nicht bestätigt werden“ (2).

 

Die Kosovo-/Jugoslawienbombardierungen sind vor dem Hintergrund der Kriege in Kroatien und Bosnien-Herzegowina von 1991 bis 1995 zu sehen, denen allein in Bosnien-Herzegowina mehr als 100 000 Menschen zum Opfer fielen – und die zur Aufnahme von mehr als 350 000 Flüchtlingen in Deutschland führten.

 

Im Kosovo wurden gewaltfreie Basisinitiativen viele Jahre nicht unterstützt (3). Ibrahim Rugova, 1992 und 1998 zum Präsidenten im Kosovo gewählt und Verfechter einer gewaltfreien Politik, fand im Ausland mit seinem Ansatz nur wenig Beachtung.

 

Der Kosovo-/Jugoslawienkrieg wurde mit der Begründung geführt, einen Völkermord zu verhindern, bei dem überwiegend die serbische Seite als Täter und die albanische Bevölkerung als Opfer in fast allen Leitmedien dargestellt wurden. Der WDR-Film „Es begann mit einer Lüge“ (4) von Jo Angerer und Mathias Werth zeigte, dass die deutsche Öffentlichkeit massiv belogen wurde, um die dritte Bombardierung Belgrads in einem Jahrhundert zu rechtfertigen. Ein sogenannter „Hufeisenplan“ existierte nicht, sondern war zu Propagandazwecken erfunden worden, das behauptete Massaker im Stadion von Pristina fand nicht statt.

 

Bei den Verhandlungen in Rambouillet wenige Wochen vor den NATO-Bombardierungen im März 1999 legten die Nato-Vertreter die Latte für die serbische Seite so hoch, dass kein Serbe mit Schulbildung diesen Vertrag hätte unterzeichnen können, wie Rudolf Augstein schrieb. Nato-Truppen sollten im gesamten verbliebenen serbischen Teil Jugoslawiens stationiert, Änderungen an Brücken, Straßen und anderer serbischer Infrastruktur zugelassen, den NATO-Soldaten Straffreiheit bei kriminellen Akten im Rahmen der anvisierten Besatzung zugestanden werden.

 

Die „Lunte“, mit welcher der Krieg gezündet wurde, war das so genannte „Massaker von Racak“ am 15.1.1999 mit 45 Toten. Wie die Opfer zu Tode gekommen sind und wer die Verantwortung dafür trägt, ist bis heute nicht restlos aufgeklärt.

Heinz Loquai, seinerzeit zuständiger deutscher Brigadegeneral bei der OSZE in Wien, beschreibt in seinem Buch „Der Kosovo-Konflikt - Wege in einen vermeidbaren Krieg“, die Rolle des Leiters der Kosovo-Verifikationsmission (KVM) der OSZE, des US-Amerikaners William Walker, folgendermaßen: „Eine objektive Betrachtung kann nicht umhin, das Verhalten des Leiters der KVM als unangemessen und außerhalb aller normalen Regeln für eine Person mit diplomatischem Status im Gastland zu bewerten. Er zog mit einer Schar von Journalisten vor Ort, ließ diese frei schalten, walten und fotografieren und, wie ein Teilnehmer sagte, die Toten auch mediengerecht positionieren“ (5). Für Außenminister Joschka Fischer war „Racak“ der „Wendepunkt“ - hin zum Nato-Krieg.

 

Die grundlegend falsche Annahme: Entweder Völkermord oder Krieg

 

„Bei den Grünen gab es in einem wichtigen Punkt ein intellektuelles Defizit: Sie sahen nur zwei Möglichkeiten: Entweder ethnische Säuberungen oder Bombardements. Und das was falsch“, sagte der Friedensforscher Johan Galtung bereits 1999. Insbesondere Joschka Fischer trieb mit der „Nie wieder Krieg und nie wieder Auschwitz“-Parole seine Partei wie auch die Gemütslage weiter Bevölkerungskreise in eine so den Realitäten nicht entsprechende Sackgasse – mit großer Wahrscheinlichkeit wider besseres Wissen.

 

Javier Solana zur Einhaltung des Holbrooke-Milosevic-Abkommens

 

In einem Brief (zitiert in: „Die Woche“, 2.7.99) an den Militäreinsatzbefürworter Erhard Eppler schrieb Prof. Dieter S. Lutz, damals Leiter des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH) an der Universität in Hamburg: „Ich beginne mit dem Holbrooke-Milosevic-Abkommen vom 13. Oktober 1998. Vierzehn Tage nach Abschluss dieser Vereinbarung ging NATO-Generalsekretär Solana am 27. Oktober 1998 mit folgender Einschätzung an die Öffentlichkeit: ‚Erfreulicherweise kann ich nun berichten, dass in den letzten 24 Stunden mehr als 4000 Angehörige der Sonderpolizei aus dem Kosovo abgezogen worden sind. (...) Die Sicherheitskräfte werden auf den Umfang abgebaut, den sie vor dem Ausbruch der jetzigen Krise hatten. (...) Ich fordere die bewaffneten Gruppen der Kosovo-Albaner auf, den von ihnen erklärten Waffenstillstand aufrechtzuerhalten‘“.

 

Stellungnahmen von Brigadegeneral Heinz Loquai (OSZE)

 

Dieter S. Lutz zitierte in seinem Brief an Erhard Eppler auch Heinz Loquai: „Die sichtbare internationale Präsenz (OSZE-Mission, Anm.: C.R.) an Brennpunkten des Geschehens trug zur Entspannung der Lage bei, ließ die Flüchtlinge wieder in ihre Dörfer zurückkehren. Mitte November wurden nur noch wenige hundert in einem Lager künstlich zurückgehalten, um den Medien ein solches Camp vorführen zu können. Doch es gab ein Problem, auf das anscheinend niemand vorbereitet war. Die UCK, die sich an die Vereinbarungen nicht gebunden fühlte, rückte dort ein, wo die Jugoslawen abgerückt waren. Von jugoslawischer Seite wurde wiederholt erklärt, wenn die UCK weiterhin das geräumte Gebiet besetze, werde das zu Reaktionen führen.“ (in: „Die Woche“, 2.7.99).

 

Fazit von Heinz Loquai zum Scheitern der OSZE-Mission

 

Brigadegeneral Heinz Loquai fasste seine Analyse in der NDR-4-Sendung „Streitkräfte und Strategien“ am 22.5.99 folgendermaßen zusammen: „Vertreibungen und Flüchtlingsströme setzten ein, nachdem die internationalen Organisationen das Kosovo verlassen und die Angriffe begonnen hatten. D.h. der Krieg verhinderte die Katastrophe nicht, sondern machte sie in dem bekannten Ausmaß erst möglich. (...) Der Frieden wurde u.a. verspielt,

- weil die meisten NATO-Staaten einseitig Partei gegen die Serben und für die Kosovo-Albaner nahmen. Hierdurch stärkte und ermunterte man die UCK, und man förderte selbst bei gemäßigten Serben den Eindruck, dass die NATO ohnehin die Sache der Albaner betreibe,

– weil die Europäer den USA zu gefügig waren und den aufgebauten Zeitdruck hinnahmen, ohne sich der allmählichen Militarisierung der Politik zu widersetzen.

– weil die NATO glaubte, durch ihre Luftangriffe Milosevic innerhalb kurzer Zeit zum Nachgeben zu zwingen und die Durchhaltefähigkeit eines diktatorischen Regimes unterschätzte.

– weil die politische und militärische Führung der NATO außer acht gelassen hatte, dass der Einsatz allein von modernen Kampfflugzeugen gegen bewegliche, aus guter Deckung operierende Bodenziele risikoreich, aufwendig und von sehr begrenzter Wirkung ist“.

 

Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19.3.1999

 

Dieter S. Lutz untermauerte seine These von der Abwendbarkeit des Krieges im Brief an Erhard Eppler auch mit der Lageanalyse des Auswärtigen Amtes vom 19. März 1999:

„Der Waffenstillstand wird von beiden Seiten nicht mehr eingehalten. (...)

Im Rahmen von lokalen Operationen der jugoslawischen Armee (VJ) gegen die UCK kam es in den letzten Tagen auch wiederholt zu vorsätzlichem Beschuss von Dörfern. Stets wurde zuvor die Bevölkerung zum Verlassen der Ortschaften aufgefordert, was diese auch tat.

UNHCR und KVM berichten übereinstimmend über eine systematische Vorgehensweise der VJ bei der Zerstörung von Dörfern mit dem Ziel, durch gezielte Geländebereinigung sämtliche Rückzugsmöglichkeiten für die UCK zu beseitigen. (...) Die Zivilbevölkerung wird, im Gegensatz zum letzten Jahr, in der Regel vor einem drohenden Angriff durch die VJ gewarnt. Allerdings ist laut KVM  die Evakuierung der Zivilbevölkerung vereinzelt durch lokale UCK-Kommandeure unterbunden worden. (...) Noch ist keine Massenflucht in die Wälder zu beobachten. Von Flucht, Vertreibung und Zerstörung im Kosovo sind alle dort lebenden Bevölkerungsgruppen gleichermaßen betroffen. Etwa 90 vormals von Serben bewohnte Dörfer sind inzwischen verlassen. Von den einst 14.000 serbisch-stämmigen Kroaten leben nur noch 7000 im Kosovo. Anders als im Herbst/Frühwinter 1998 droht derzeit keine Versorgungskatastrophe“.

 

Generalbericht der Parlamentarischen Versammlung der NATO

 

Die Parlamentarische Versammlung der NATO, ein unabhängiges Gremium, das als Bindeglied zwischen dem Bündnis und den Parlamenten fungiert, hat im Dezember 2000 einen „Generalbericht“ über „Die Folgen des Kosovo-Konfliktes und seine Auswirkungen auf Konfliktprävention und Krisenmanagement“ verabschiedet.  Darin heißt es:

„So nutzte die UCK das Holbrooke-Milosevic-Abkommen als Atempause, um ihre Kräfte nach den Rückschlägen des Sommers zu verstärken und neu zu gruppieren. Die serbischen Repressionen ließen unter dem Einfluss der KVM in der Zeit von Oktober bis Dezember 1998 nach. Dagegen fehlte es an effektiven Strategien zur Eindämmung der UCK, die weiterhin in den USA und Westeuropa, – insbesondere Deutschland und der Schweiz - Spenden sammeln, Rekruten werben und Waffen über die albanische Grenze schmuggeln konnte. So nahmen die Angriffe  der UCK auf serbische Sicherheitskräfte und Zivilisten ab Dezember 1998 stark zu. Der Konflikt eskalierte neuerlich, um eine humanitäre Krise zu erzeugen, welche die NATO zur Intervention bewegen würde.“ (6).

 

Die wichtigsten Gründe für den Kosovo/-Jugoslawienkrieg in Kurzform  

 

Nach allen bisher genannten Quellen haben andere als die von NATO-Seite genannten Gründe den Ausschlag für die Bombardierungen gegeben. Zu diesen dürften mit unterschiedlichem Gewicht stichwortartig folgende gehören, wobei in Klammern jeweils Vertreter dieser Argumente stehen:

 

1. Testlauf der neuen NATO-Doktrin zum 50. Jahrestag 1999: Erster Militäreinsatz ohne UN-Mandat.

2. Durchsetzung des weltweiten Führungsanspruches der NATO unter US-Führung bei gleichzeitiger Ausschaltung von OSZE und UNO.

3. Konkurrenz zwischen USA und Europa, Dollar und Euro; Desintegration Europas durch die USA bei gleichzeitiger Erschwerung bzw. Verhinderung der Zusammenarbeit Berlin-Moskau (J. Rose).

4. Sicherung der Existenzberechtigung der NATO und Auslastung der Rüstungskapazitäten.

5. Testfall für Krieg der US-Luftwaffe bei scharfer Konkurrenz um Haushaltsmittel zwischen Luftwaffe, Heer und Marine (P. Lock).

6. Verhinderung neuer Flüchtlinge und deren Kosten in Westeuropa (G. Schröder).

7. Möglicher Präzedenzfall für künftige Konflikte im Kaukasus (Prof. A. Pradetto).

8. „Disziplinierung“ des „Fremdkörpers“ Serbien als letztes mit Russland und China verbundenes Land in Europa, das sich der Globalisierung widersetzt hat (Prof. J. Galtung).

9. Nach Irak-Bombardierung 1998 durch Unterstützung der albanischen Muslime neue „Pluspunkte“ in der (ölreichen) arabischen Welt (W. Wimmer).

 

Im Zusammenhang der Krim-Krise beurteilte Altbundeskanzler Gerhard Schröder den Angriff von 1999 als Verstoß gegen das Völkerrecht: „Da haben wir unsere Flugzeuge (...) nach Serbien geschickt und die haben zusammen mit der Nato einen souveränen Staat gebombt - ohne dass es einen Sicherheitsratsbeschluss gegeben hätte“ (F.A.Z., 10.3.14).

Sein Vorgänger, Altbundeskanzler Helmut Schmidt hielt bereits 1999 die deutsche Kriegsbeteiligung für nicht zu rechtfertigen: "Gegängelt von den USA haben wir das internationale Recht und die Charta der Vereinten Nationen missachtet“ (FR, 3./4.4.99).


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(1) Pressemitteilung Nr. 111/99 vom 24. März 1999, hg. vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Bonn.

(2) Howard Clark, Civil Resistance in Kosovo, London, 2000.

(3) Zitiert aus dem Vorwort von Prof. Dieter S. Lutz in: Clemens Ronnefeldt, Die neue NATO,

Irak und Jugoslawien, Minden, 1. Auflage 2001, S. 9.

(4) http://www.youtube.com/watch?v=NqPnn-GD4-k

(5) Heinz Loquai, Der Kosovo-Konflikt - Wege in einen vermeidbaren Krieg, Baden-Baden 2000, S. 50.

(6) Zitiert aus dem Vorwort von Prof. Dieter S. Lutz in: Clemens Ronnefeldt, Die neue NATO, Irak und Jugoslawien, Minden, 1. Auflage 2001, S. 7.


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Clemens Ronnefeldt,

Referent für Friedensfragen beim deutschen Zweig des Internationalen Versöhnungsbund


Dem 1914 gegründeten Internationalen Versöhnungsbund gehören in rund 40 Staaten der Erde ca. 100 000 Mitglieder an. Der Verband hat Beraterstatus bei den Vereinten Nationen.

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Zuletzt geändert am: Mar 17 2014 um 2:51 PM

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